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sen, ohne daß aber ihre Verletzung die Nichtigkeit des fehler-
haften Gesetzes zur Folge haben kann, dann haben sie ihren ur-
sprünglichen rechtlichen Charakter verloren und statuieren nicht
mehr ein rechtliches Können, sondern — in Verbindung mit
den Vorschriften über Ministerverantwortlichkeit — ein rechtliches
Sollen. Die Anomalie, die vom rechtstechnischen Standpunkte
einem derartigen Zustande anhaftet, erhellt am deutlichsten
daraus, daß in diesem Falle ein Minister immer nur wegen der
Kontrasignierung eines durchaus gültigen Gesetzes angeklagt
und bestraft werden kann.
Ob speziell in der österreichischen Verfassung eine Verbin-
dung zwischen den Bestimmungen über das Zustandekommen von
Gesetzen und den Vorschriften über Ministerverantwortlichkeit
möglich ist, muß zweifelhaft bleiben, und zwar aus folgenden
Gründen: Erstens ist die Verantwortlichkeit des Ministers auf
Grund des Gesetzes über die Verantwortlichkeit der Minister wie
auch des Staatsgrundgesetzes über die Ausübung der Regierungs-
und der Vollzugsgewalt (Art. 2) auf die „Regierungsgewalt*
und „Regierungsakte“ des Kaisers beschränkt; darunter ist
im Sinne der 1867er Verfassung nur die Exekutive, nicht aber
die Legislative verstanden. Dieser Auffassung zufolge könnte die
ministerielle Verantwortlichkeit für keinen Akt der Legislative
in Betracht kommen, weder für einen Beschluß des Parlamentes
(Reichsrat oder Landtag), noch für die Sanktion des Monarchen.
Insbesondere wäre der Akt der kaiserlichen Sanktion -- weil kein
„Regierungsakt*, kein Akt der „ Regierungsgewalt“, sondern ein
Gesetzgebungsakt — durch keine ministerielle Kontrasignatur
gedeckt und auch einer solchen Deckung gar nicht fähig. Zwei-
tens aber bezieht — durchaus in Uebereinstimmung mit dieser
Auffassung — der die Gesetzespublikation regelnde Art. 10 des
Staatsgrundgesetzes über die Ausübung der Regierungs- und Voll-
zugsgewalt die „Mitfertigung eines verantwortlichen Ministers*
ausdrücklich auf „die Kundmachung der Gesetze“. Die Kund-