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Zweikammersystem vorliegt, hat es sehr guten Sinn, wenn das
eine Haus den Minister zur Verantwortung zieht, weil er, trotz
fehlerhaften Beschlusses des anderen Hauses, kontrasigniert hat.
Und gar bei zwei Legislativen! Der Reichsrat kann das eminen-
teste Interesse haben, den Minister wegen eines fehlerhaften Lan-
desgesetzes zur Verantwortung zu ziehen. Und ebenso könnte um-
‚gekehrt dem Landtage ein solches Interesse wegen eines fehlerhaften
Reichsgesetzes — man denke an Kompetenzüberschreitungen der
Legislativen — zuerkannt werden; nur daß eben den österreichi-
schen Landtagen die rechtliche Möglichkeit einer Ministeranklage
feblt.
Mit der Annahme, daß die Bestimmungen über das Zustande-
kommen und die Abänderung von Gesetzen nach österreichischer Ver-
fassung durch die Ministerverantwortlichkeit eine rechtliche Garantie
und damit juristische Relevanz erhalten, ist jedoch die Möglichkeit
„verfassungswidriger* Gesetze keineswegs ausgeschlossen, höch-
stens verringert; das materielle richterliche Gesetzesprüfungsrecht
findet keinen Ersatz in der Ausdehnung der ministeriellen Ver-
antwortlichkeit auf alle Akte der Legislative. Es genügt nicht,
daß der Minister „verfassungswidrige“ Gesetze von Rechts wegen
nicht kontrasignieren soll; vielmehr sollten verfassungswidrige
Gesetze von Rechts wegen gar nicht entstehen können.
Soferne aber, mangels richterlichen Gesetzesprüfungsrechtes,
Gesetzesnichtigkeit aus materiellen Gründen im Sinne der gel-
tenden Österreichischen Verfassung ausgeschlossen ist, fehlt jener
Begriff des „ungültigen Gesetzes“, der für den ersten Teil dieser
Untersuchungen über das Verhältnis von Reichs- und Landesge-
setz vorausgesetzt wurde. Dessen Resultate können somit den
Anspruch nicht erheben, geltendes Recht zum Ausdruck zu bringen.
Ihr juristisches Gewicht ist nicht größer und nicht geringer als
der positiv-rechtliche Gehalt des Dogmas, daß zu einem gültigen
nahme — so gerechtfertigt sie an sich wäre — doch einen positiven Rechts-
satz nachweisen können.