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Gesetze unter anderem der auf bestimmte Weise zustandegekom-
mene Majoritätsbeschluß beider Häuser des Reichsrates oder eines
Landtages erforderlich sei. Die ganze herrschende Theorie des
österreichischen Staatsrechts lebt unter der Voraussetzung, als
ob dieses Dogma positiv zu Recht bestände. Und so gehen
auch die hier durchgeführten Untersuchungen zunächst von die-
sem „als ob“ als der Voraussetzung des legislativen Konstitutionalis-
mus aus. Allein von diesem zunächst ungeprüften Ausgangs-
punkte gelangen diese Untersuchungen zur Ablehnung der herr-
schenden Lehre bezüglich des Verhältnisses von Reichs- und Lan-
desgesetz, der Behauptung einer einheitlichen nornsetzenden
Autorität ın Reich und Land und gegenseitiger Derogierbarkeit
von Reichs- und Landesgesetzen, unter Annahme des Februar-
patentes von 1861 als gültiger Verfassungsbasis. Zu eben
diesem Resultat der herrschenden Lehre gelangen diese Unter-
suchungen jedoch gleichfalls vom Februarpatent ausgehend —
in ihrem zweiten Teile — sobald die Voraussetzung der herrschen-
den Lehre kritisch geprüft und fallen gelassen werden mußte,
nämlich die Fiktion des legislativen Konstitutionalismus. Mit dieser
Fiktion entfiele eben die Notwendigkeit, den Ausgang der juri-
stischen Konstruktion von der Verfassung des Jahres 1867 zu
nehmen.
Den Mangel eines richterlichen Gesetzesprüfungsrechtes teilt
die österreichische Verfassung freilich mit mancher anderen, die
darum, vom Standpunkt rein juristischer Konstruktion, eben-
so wie die österreichische, rechtlich nicht über einen legisla-
tiven Absolutismus hinausreicht, wenn auch noch so sehr die Mit-
wirkung des Parlamentes an der Gesetzgebung faktisch garantiert
ist. Das Merkwürdige und Besondere der österreichischen Verfassung
von 1861/67 aber besteht darin, daß sie als solchein ihrer spezifischen
Totalität, d.h. als einheitliches Normensystem rechts-
logisch gar nicht anders möglich ist, als wenn denjenigen Be-
stimmungen, welche sich auf die Teilnahme des Reichsrates und