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tation mit dem Thema beschäftigt, jedoch in übertrieben enger
Anlehnung an HUBRICH, dem er sogar, recht wenig selbständig,
in der Anlage der Darstellung folgt.
Die deutschen Lehrbücher des Staatsrechts, selbst die ein-
gehendsten, müssen es, ihrer Aufgabe entsprechend, vermeiden,
sich mit dieser Sonderfrage in juristischer Methode zu befassen,
sondern müssen sich damit begnügen, nur die einzelnen Bestim-
mungen über Redeordnung, Strafmittel, Sıtzungspolizei, Kompe-
tenzen des Präsidiums wiederzugeben. Und auch die oft gemachte
Erfahrung, daß, wo die deutsche Wissenschaft schweigt, die fremd-
ländische redet, bestätigt sich für unser Thema nicht. Die beiden
umfassenden Werke von MAY°® fürs englische und von PIERRE ’°e
fürs französische Recht bieten an Theorie nichts. Sie enthalten
eine fast unübersehbare Zahl von Fällen, die sich in der Praxis
der Parlamente ereignet haben, und geben daher, was durchaus
nicht zu unterschätzen ist, lediglich das Material, dessen theore-
tische Erkenntnis uns überlassen bleibt. Dasselbe gilt von RED-
LICHs sehr eingehendem Buch über Recht und Technik des eng-
lischen Parlamentarismus °'.
Es konnte daher nach langem Schweigen der deutschen Li-
teratur aufs neue der Versuch gewagt werden, das parlamentarische
Disziplinarrecht juristisch zu erfassen und zu untersuchen, ob dies
überhaupt möglich ist, oder ob denen zugestimmt werden muß,
die es dem scheinbar so spröden Stoff abstreiten. SEIDLER°
(S. 97) beispielsweise behauptet, daß „die Einzelheiten der Ge-
schäftsordnungen über die Disziplin kein juristisches Interesse
5 A treatise on the law, privileges, proceedings, and usages of Par-
liament, 8. ed. 1879. Neuere Auflagen — die 11. ist 1906, bearb. von LonS-
DALE WEBSTER und EDWARD GREY, erschienen — sind mir erst in letzter
Stunde zugängig geworden, so daß sie hier nicht mehr benutzt werden
konnten.
s Trait& de droit politique Electoral et parlementaire 1893.
®4 1905 erschienen.
5° Die Immunität der Mitglieder der Vertretungskörper nach öster-
reichischem Rechte 1891.