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höchstens mittelbare Volksvertretungen sein könnten”, deren Wir-
kungskreis auf die auswärtigen Angelegenheiten, das Kriegs- und
Finanzwesen beschränkt, also für ein Parlament außergewöhnlich
eng ist. Besonders klar ist die Frage im $ 28 des ung. Gesetz-
artikels entschieden, welcher bestimmt: „Für denjenigen Teil der
gemeinsamen Angelegenheiten, welcher nicht rein in den Kreis
der Regierung (kormanyzat) gehört, hält Ungarn weder einen Ge-
samtreichsrat?® noch ein gemeinsames oder zentrales
Parlament (közos vagy közepponti parlamentet) oder wie man
es immer bezeichnen mag, für zweckmäßig und nimmt darum
keines von beiden an (sezeknek egyket sem fogadja el)“ **.
Im Anschluß an die vorhergehenden Ausführungen sei an
dieser Stelle einiges über die juristische Konstruktion des Ver-
3. Aufl. 1907 8. 127 N. 25: Beschluß der ung. Deleg. vom 10. VI. 1906. alle
Bestimmungen aus ihrer GO. auszumerzen, welche die Deleg. als gesetzge-
bende Versammlung erscheinen lassen könnten.
?? So JELLINER allgStL. 533.
23 BERNATZIK a. a. O. 296 übersetzt „vollen“ (teljes) Reichstag; das
gibt hier keinen Sinn. Wie hier ZOLGER N. 2 zu 8 28 8. 173.
2?* Daß dieses Ergebnis richtig ist, folgt auch aus der staatsrechtlichen
Natur der Doppelmonarchie Oesterreich-Ungarn. Sie ist kein zentralisierter
Gesamtstaat (so aus der neuesten Literatur TEZNER ArchOeffR. 30, bes.
132), sondern sie besteht aus zwei Staaten. Sie ist nach der herrschenden
Lehre Realunion (vgl. JELLINEK allgStL. 738 ff.; AnscHUTz. Deutsches
Staatsrecht, Enzykl. d. Rechtsw. (HOLTZENDORFF-KOHLER) Bd. IV 7. Aufl.
1914 (zit. Enzykl.) S. 15; v. Liszt, Völkerrecht, 6. Aufl. 1910 (zit. VR.)
S. 54; die österreichische Lehre schwankt; Stand der Meinungen
bei JELLINEK a. a. OÖ. 739 N. 1; UnBRIcH 61/3; GumpLowıcz 49/50, 0
N. 17; ZoLGER 107 X). BERNATZIK VerfGes. 289 N, 2 weist darauf hin,
daß Ungarn in Einl. zum GA. XII ex 1867 die Existenz einer Monarchie
(birodalom) — soll heißen: einheitlichen Monarchie — anerkenne; so auch
TEZner ArchOeffR. 31 12/4. Dagegen spricht, daß nur wenige Zeilen vor
dem Wort „Monarchie“ „die staatsrechtliche und innere administrative
Selbständigkeit Ungarns und seiner Nebenländer* gewährleistet ist, und
daß im $ 28 cit. von den beiden Staaten als von „zwei gesonderten und
völlig gleichberechtigten Parteien (fel)“ gesprochen wird. Ueber die un-
garische Lehre, mit der sich die hier vertretene Ansicht von der Realunion
deckt, vgl. z. B. Nasy v. Eörteveny ZPolit. V 580/71.