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Die Ermächtigung zur Aufstellung von Disziplinarvorschriften
ist entweder im Gesetz ausdrücklich durch Hervorhebung des
Wortes „Disziplin“ ausgesprochen oder sie ist daraus zu entneh-
men, daß die Kammer einfach zur Regelung ihrer Geschäfte er-
mächtigt wird’. Im ersten Fall ruht die Delegation auf dem
Gesetz, im zweiten kann man sagen, daß sie erst durch Gewohn-
heit gebildet wird°°, und man könnte daher noch weiter zwischen
einem Legal- und einem Usualsystem scheiden, eine Unterschei-
dung, die indes bei der geringen Zahl der in Betracht kommen-
den Fälle wenig Bedeutung hätte.
Eigentümlich ist der Rechtszustand in Frankreich insofern,
als hier die Delegation für die Geschäftsordnung überhaupt nur
implicite im Gesetz enthalten ist. Art. 5 der loi constitutionelle
sur les rapports publics (16. Juli 1875) bestimmt lediglich: „Cha-
que Chambre peut se former en comite secret sur la demande
d’un certain nombre de ses membres, fixe par le reglement“, und
Art. 11 erwähnt nur die Bildung des Bureaus. Aehnlich ist es in
Baden. $ 71 III der Verfassung (Art. 5 des Gesetzes vom 24. Au-
gust 1904, RegBl. 339) erwähnt nur die Geschäftsordnung. Der
erste Entwurf einer solchen wurde im Jahr 1819 von der Regie-
rung der zweiten Kammer vorgelegt, von beiden beraten und die
so zustande gekommene teilweis sogar als formelles Gesetz ange-
sehen ®. Zu Unrecht, da sie die im 8 66 der Verfassung vorge-
sind daher so lange gültig und schaffen einen Zustand wie ein wateriell
verfassungänderndes Gesetz (so JELLINEK allgStL. 525). Wir haben es dem-
nach mit einem bisher wenig beachteten Problem, nämlich mit gültigen
nichtigen Rechtssätzen zu un.
s+ 7. B. Waldeck VU 8 60 I (Kompetenz, sich eine GO. zu geben);
Lübeck Verf. Art. 48 (Zuständigkeit, den Geschäftsgang durch eine GO. zu‘
regeln); Italien SF. $ 61 (Ermächtigung zur Ausübung der dem Parlament
zustehenden Befugnisse durch eine GO.: Ermächtigung für „il modo se-
condo il quale abbia da esercitare le proprie attribuzioni*); ebenso Belgien
Const, art. 46.
85 Vgl. JELLINEK Schr. Il 258, 259; HuBricH 13, 14.
se Wauz Ztschr. 129/30.