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ein sittliches Moment, besonders das der Treue? GERBER spricht
geradezu von sittlichen Tatbeständen '”, und das trifft für die
von ıhm behandelten, Staat und Untertan, Eltern- und Kindes-
verhältnis gewiß zu. Es ist aber doch fraglich, ob alle Sonder-
gewalten in erster Linie sittliche Tatbestände sind, so daß das
ethische Moment zum Begriff gehörte, oder nicht vielmehr in der
Hauptsache andere, z. B. wirtschaftliche. Es fehlt bei dem Rei-
senden, der das Bahnhofsgebäude betritt, es ist vorhanden beim
Untertan, beim Staatsdiener; es fehlt bei dem Benutzer einer Ge-
meindeanstalt z. B. eines Schlachthauses, es ist vorhanden bei
dem Benutzer einer städtischen, der Landesbibliothek '”°. Es ergibt
sich also folgende Definition:
Sondergewalt ist die durch den Willen der unterworfenen
Person bedingte und befristete Ueberordnung einer anderen
Person über jene, kraft welcher deren Wille die Pflichten der
Unterworfenen im einzelnen bestimmt.
Träger der Sondergewalt ist der Dienstherr (Arbeitgeber,
Lehrherr), ein von den Mitgliedern des betreffenden Sonderkreises
verschiedenes Rechtssubjekt (rechtsfähiger Verein), die Gesamtheit
der den Sonderkreis Bildenden (Versammlung, Parlament), eine
öffentliche Anstalt!*”. — Die Sondergewalt ist nieht identisch mit
Disziplin !?”, Sie kann weiter als diese gehen, indem sie nicht bloß
die Angehörigen des Sonderkreises, sondern auch Außenstehende
ergreift. Das Parlament, das aus Mitgliedern besteht, hat Macht
über Zuhörer und Regierungsvertreter; die öffentliche Anstalt,
die der Mitglieder entbehrt, über ihre Benutzer. Beachten wir
125 2, Aufl. 44; 3. Aufl. Grundzüge des deutschen Staatsrechts 1880
S. 46; vgl. auch JELLINEK allgStL. 415.
126 Vgl. O. MayER ArchOefiR. 354 ff., der mit Recht darauf hinweist,
daß wir das Eltern- und Kindesverhältnis ohne die Kindesliebe darstellen.
127 Vgl. zur letzteren KAun 27 ff.
12% Vgl. dazu NAwIAskyY 27 ff., der indes den Unterschied nicht deut-
lich entwickelt.