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Geschäftsordnungen für die konstituierende Nationalversammlung
in Frankfurt und die von Belgien haben der heutigen des preußi-
schen Abgeordnetenhauses *°”° und damit der des deutschen Reichs-
tags zum Vorbild gedient. Sie haben daher, wie ich meine, deren Ge-
danken aufgenommen, wenn sie den Ordnungsruf als „Verweisung
auf die Ordnung“ charakterisieren und damit, da Mahnung und
Erinnerung hier Strafcharakter, wie noch auszuführen ist, tragen,
den Ordnungsruf als Strafe ausgestaltet.
Die Strafnatur des Ordnungsrufs wird selten anerkannt. Wo
dies geschieht, geschieht es mit dem Hinweis darauf, daß er
nach erfolgtem Bruch der parlamentarischen Ordnung erfolge
und diese sühnen solle, ebenso wie die kriminelle Strafe nach
erfolgtem Bruch der allgemeinen Rechtsordnung sühnend ein-
träte?23, Der Ordnungsruf sei daher ein Mittel repressiver Art.
Im Gegensatz dazu wird behauptet, er sei ein Mittel lediglich
präventiver Art?’
Beide Fragen, ob Repressiv- oder Präventivmittel, ob Strafe
oder nicht, sind, was nicht immer geschieht, scharf zu trennen.
Sie verhalten sich zu einander wie die Fragen nach dem Zweck
und dem Begriff des Ordnungsrufs.
Jene Meinung, die einseitig betont, der Ordnungsruf sei ein
Repressivmittel, beachtet m. E. mehr die Veranlassung zum Ein-
schreiten des Präsidenten als den Zweck. Die Veranlassung gibt
das in der Vergangenheit liegende ordnungswidrige Verhalten.
235 Berichterstatter Abg. GRODDECK am 28. III. 1849, StenBer. AbgH.
S2Ar.
238 Vgl. HusricH 123 N. 15, 124, 414, 433, 434.
2977” Stand der Meinungen: Für die Strafnatur sind HUBRICH a. a. O.;
Weıcen 86/7, 98; v. SEYDEL AnnDR. 1880 415. Dagegen sind v. SEYDEL
Komm. N. III zu Art. 27 8.209; Cosack (oben N. 174) 240; ZIMMERMANN
2. f. d. ges. StaatsW. 63 420/7; Abg. STRUCKMANN bei Hann, Die gesamten
Materialien zum Gerichtsverfassungsgesetz, 1879 Bd. I, 1 342; K.S. Za-
CHARIAE, ArchzivPr. 17 176; MADpsAcK, Die parlamentarische Redefreiheit
der Reichstagsabgeordneten usw., Leipziger Diss. 1910 S. 80. Vgl. unten
N. 245 a und 248.