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seine Entdeckung gründet, so ist diese Sorglosigkeit doppelt erstaunlich.
Man sieht: BÜHLER führt eine Anzahl von Gründen dafür an, daß das
Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erst etwa im Jahre 1878 ent-
standen sei; aber kein einziger dieser Gründe ist stichhaltig.
2. Ebensowenig dürfte ihm der Nachweis für die Behauptung gelungen
sein, daß — anders als die gemeine Meinung annimmt — die gemäß
S 10 IT 17 ALR. zu erlassenden Polizeiverfügungen streng gebundene Akte
seien und für ein freies Ermessen keinen Raum ließen (S. 181 ff., 315 £.). Verf.
meint S. 182: Die Polizei darf nur einschreiten, wenn das Einschreiten
„nötig“ ist; ist aber einmal das Einschreiten „nötig“, so ist die Polizei
eben wegen dieser Notwendigkeit auch zum Einschreiten verpflichtet; folg-
lich sei ihr Einschreiten eindeutig bestimmt. Verf. begeht hier offensicht-
lich einen Fehlschluß. Daraus, daß ein Einschreiten zur Abstellung
von Ordnungswidrigkeiten nötig ist, folgt noch nicht die
Notwendigkeit desEinschreitens an sich. Wenn ich nach Amerika
gelangen will, ist es nötig, daß ich erst mit einem Schiffe hinfahre; dar-
aus darf ich aber doch nicht schließen, daß die Amerikafahrt an sich
nötig ist, daß ich nach Amerika fahren muß. Ebenso verhält es sich mit
dem Amte der Polizei. „Die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffent-
lichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ stellt das Gesetz der Polizei zur
Verfügung, über die Verwendung dieser Machtmittel beschließt sie aber
nach freiem Ermessen. Das Gesetz kann allerdings die Polizei auch „nö-
tigen“, diese „nötigen“ Mittel zu ergreifen; ganz allgemein wird dies dann
der Fall sein, wenn die Ordnungswidrigkeit einen solchen Grad erreicht
hat, daß nach gesellschaftlichen Anschauungen ein Zögern der Polizei nicht
mehr zulässig ist. Für einsturzdrohende Gebäude hat das ALR. ($ 767 UI
20) ausdrücklich diesen Grundsatz verwirklicht: „Ist der Eigentümer zu
solchen Reparaturen unvermögend, so muß die Obrigkeit dafür, bey eigner
Vertretung, von Amts wegen so weit sorgen, alses nöthigist, um
die dem Publiko drohende Gefahr abzuwenden.“ Der Grundsatz läßt sich
aber nicht verallgemeinern. Die Polizei ist Verwaltung, nicht Justiz, und
daher im Zweifel nicht wie diese eindeutig gebunden. Das wahrschein-
lichere ist es daher, daß der Gesetzgeber innerhalb der Grenzen des Mög-
lichen die Polizei bestimmen läßt, ob eine Ordnungswidrigkeit so stark
ist, daß sie ein Einschreiten nötig macht oder nicht. So heißt es denn in
S 7 des oben erwähnten Streik-Patents vom 29. Juli 1794: „Die zur Er-
haltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, so wie überhaupt zur Auf-
rechthaltung der Ordnung zu ergreifenden [doch wohl = nötigen] Maaß-
regeln bleiben dem pflichtmäßigen Ermessen Unsers General-
Direktorii dergestellt überlassen, daß .... Unser General-Direktorium
befugtund schuldig seyn soll, augenblicklich, bei dem ersten Aus-
bruch einer solchen Unordnung, die demselben beigelegte Polizeigewalt
auszuüben, ....“ Und vollen Beweis, wenn es noch eines Beweises be-