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aber aus den und den Gründen muß hier das Interesse des Klägers hinter
dem öffentlichen Interesse zurücktreten, — dann hätte das OVG. die Ver-
fügung nicht aufgehoben. Der Fall lag also so, daß die Polizei einschreiten
durfte; nur durfte sie von ihrem Ermessen nicht Gebrauch machen, ohne
die Interessen des Klägers wenigstens in Erwägung gezogen zu haben.
2. Vollkommene Beherrschung des Stoffes ist also die erste Voraus-
setzung für die richtige Würdigung der dem Stoff gewidmeten Rechtspre-
chung. Ein weiteres Erfordernis ist vollkommene Vorurteilslosig-
keıt. Man darf auch nicht den Schein erwecken, als verwende man die
Rechtsprechung einseitig zur Stützung seiner persönlichen Ansichten. Diesen
Schein erregt aber Verfasser entschieden bei Besprechung der Bedürfnis-
frage. Er ist der Ansicht, „Bedürfnis“ im Sinne der GewO. 8 33 sei ein ein-
deutiger Begriff, die Beurteilung des Bedürfnisses also durchaus eine Rechts-
frage (S. 30 ff., 286 f., 387). Auf diese Ansicht selbst will ich nicht näher kri-
tisch eingehen, nur möchte ich Verwahrung einlegen gegen die Behauptung,
das preußische OVG. habe die Bedürfnisfrage nicht als Frage des freien
Ermessens behandelt (S. 288 N. 48). Das OVG. hat nur die Grenzen des
Begriffes „Bedürfnis“ als Rechtsfrage angesehen, aber innerhalb des richtig
verstandenen Begriffs dem freien Ermessen keine Schranken auferlegt. So
wurde vom OVG. einmal beanstandet, daß das Berufungsgericht bei Ge-
nehmigung einer Kantine meinte, durch eine Erklärung der Militärbehörde
der selbständigen Prüfung der Bedürfnisfrage enthoben zu sein. Diese
Rechtsprechung habe ich Gesetz usw. 8. 132 N. 71 gewürdigt (vgl. ferner
Gesetz usw. 8. 342 N. 17 und PrOVG. 19. 12. 1839 Bd. 19 S. 325). Verfasser
kennt diese Stelle (BÜHLER S. 41), greift aber nur zwei ihm scheinbar
günstige Entscheidungen heraus und macht dann den Leser glauben, das
OVG. habe im Gegensatze zu andern Verwaltungsgerichten „die Bedürfnis-
frage ohne weiteres für eine Rechtsfrage erklärt“. (S. 512, 288 N. 48),
3. Bei Verwertung der Rechtsprechung muß man ferner die entschei-
denden Ausführungen wohl sondern von den bloß gelegentlichen
Bemerkungen, den bloßen Redensarten. So hat das preußische OVG.
in einer großen Zahl von Entscheidungen die Wendung gebraucht, eine
Polizeiverfügung sei aufzuheben, wenn sie nicht auf objektiven polizeilichen
Motiven, sondern auf Willkür, Schikane oder sonstiger Pflichtwidrigkeit
beruhe, aber immer nur, um den Kläger zu belehren, daß gegen die Be-
hörde ein solcher Vorwurf nicht erhoben werden könne. Ich habe vor
dieser Formel unter Anführung von 25 preußischen Entscheidungen gewarnt,
Gesetz usw. 8. 65f. N. 114, 115, und auch gezeigt, daß das preußische OVG.
bestenfalls in einigen wenigen Fällen (1898 und 1909). und auch da sehr
zaghaft, mit der sog. „ Willkür“ Ernst gemacht hat (Gesetz 8. 66 N. 115, 8. 324
N. 9, S. 825 N. 13). Verf. beachtet diese kritische Bedenken nicht und
kommt daher, übrigens ohne genauere Belege, S. 315 ff. (und S. 518) zu der
Behauptung, das OVG. habe „aus $ 127 III Ziff. 2 die Berechtigung zur
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