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Schrift des Obmanns des ukrainischen Nationalrats Dr. E. LeEwIcKY, Heft 33
der Jäckhschen Flugschriften.. Und in ihm lebt ein Volk, das sich seine
eigene, westliche Kultur, seine eigene Sprache (in der Ukraine links vom
Dniepr gibt es nur 13°/. Russen, rechts dieses Stromes sogar nur 4°/o)
ein „starkes Einheitsgefühl und einen mächtigen Absonderungstrieb“, nicht
zuletzt auch seine religiöse Sonderart (die ruthenische Kirche ist griechisch
katholisch und Rom uniiert) trotz aller nivellierenden Tendenzen des
Großrussentums bewahrt hat. Freilich gab und gibt es auch hier Verräter
an der nationalen Sache wie die Bestrebungen der sog. Altruthenen in
Galizien und der gegenwärtige Krieg bewiesen haben. Von dem Kampfe
dieser Strömungen im eigenen Lager nicht weniger als vom Ausgange des
Völkerringens wird es abhängen, ob das ukrainische Volk vor dem Richter-
stuhle der Geschichte bestehen kaun oder ob auch von ihm jenes traurige
Urteil gelten muß, das RANKE einst von seiner polnischen Schwester fällte:
als Nation nicht sterben, als Staat nicht leben zu können,
Berlin-Charlottenburg. Heinrich Otto Meisner.
Rudolf Kjellen, Die Großmächte der Gegenwart, übersetzt von
K. Koch. Teubner 1914. 208 S.
Als RAnke im Jahre 1833 zu Beginn des zweiten Bandes seiner „Histo-
risch-politischen Zeitschrift“ die berühmt gewordene Abhandlung über „Die
großen Mächte“ veröffentlichte, in der er die Politik der letzten anderthalb
Jahrhunderte in ebenso knapper wie tiefer Weise erörterte, da war es
seine ausgesprochene Absicht, „einige Irrtümer über den Bildungsgang der
modernen Zeiten zu erschüttern und den Weltmoment, in dem wir uns be-
finden, deutlicher und unzweifelhafter zur Anschauung zu bringen“. Jener
„Weltmoment* war auch für den universalsten Historiker damals von be-
schränkten Maßen, er reichte nicht über den europäischen Horizont hinaus.
Wie hat der Schauplatz nach kaum drei Menschenaltern sich vergrößert!
Heute steht das Rankesche Thema von vornherein unter dem Zeichen der
„planetarischen Situation®, und mit Recht erscheint dieser Begriff oder syno-
nyme Bezeichnungen immer wieder in dem Buche KJELLENns. Es ist von
großem Reiz, hier den Angehörigen eines kleineren Staates (Vf. ist Mit-
glied des schwedischen Reichstags und Professor an der Hochschule zu
Gothenburg) sich über Fragen verbreiten zu hören, die ihm von Haus aus
nicht im Blute liegen können, für die aber grade sein „abseits gelegener
Beobachterplatz“ die nötige Distanz des Blickes bietet im Sinne jener Ob-
jektivität, wie sie RANKE einst so vorbildlich geübt hat.
Nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich steckt Ks. die Grenzen des
Gegenstandes weiter als RAnke. Hatte dieser sich „absichtlich an den
Fortgang der auswärtigen Verhältnisse“ gehalten, so wird bei jenem
auch die innere Politik der Mächte mit Heranziehung geographischer
(der Forschungen FRIEDRICH RATZELs) und ethnischer Gesichtspunkte er-