Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

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kennen, wie viel Neues und Lehrreiches wir schon aus den Berichten und 
Untersuchungen LEVINs gewinnen; es ist zu hoffen, daß die Schrift ebenso 
als Handbuch des Praktikers wie als Stoff-Sammlung und -Sichtung für den 
Theoretiker und als Wegweiser für den Gesetzgeber Einfluß aller Art übt. 
Eigentlich habe ich nur gegen ein Kapital im Ganzen Bedenken: die 
grundsätzlichen Ausführungen über das Beweisrecht und das, was mit ihnen 
in der Behandlung der Zeugenvernehmung unmittelbar zusammenhängt. 
($$ 20, 24—26.) Dies gehört auch beim breitesten Begriff der richterlichen 
Prozeßleitung kaum herein. Gerade bei einer so fest geschlossenen, die 
wechselseitigen Beziehungen der verschiedenen richterlichen Funktionen so 
klar aufdeckenden und sicher bewertenden Darstellung, wie wir sie in 
Levıns Schrift haben, füllt es besonders auf, wenn ein Stück nicht völlig 
durchgearbeitet und im Ganzen aufgegangen ist. Das war nun beim Be- 
weisrecht gar nicht anders möglich; diese Materie, an der sich viele unserer 
besten juristischen Denker ohne glückliche Lösung in konzentrierter Be- 
trachtung versucht haben, spottet der Einordnung in die Systeme des 
Privatrechts und des Prozesses gleichermaßen und läßt sich vollends nicht 
in einer Monographie über die richterliche Prozeßleitung erledigen. 
(Uebrigens ist gerade in diesem Punkt der Vergleich mit dem englischen 
Verfahren wirklich lehrreich, das in manchen Stücken dem Richter viel 
freiere Bewegung und stärkeres äußeres Ansehen gibt als unser Prozeß, 
dafür aber den Beweis im ärgsten Formalismus stecken läßt. Levın hat 
den Ausführungen von BENTHAM, der überall ein unerträglicher Salbaderer 
bleibt, zu viel Bedeutung geschenkt.) Und was dann die Zeugenvernehmung 
selbst anlangt, so ist nach meinem Ermessen und meiner Erfahrung jede 
lehrhafte Ausarbeitung eines Schemas der „guten“ Vernehmung ein nicht 
nur aussichtsloses, sondern oft auch sehr gefährliches Beginnen. LEVIN 
hat selbst ganz zutreffend vor dem Dogmatisieren gewarnt, das sich im 
Anschluß an die „wissenschaftliche® Psychologie der experimentierenden 
Seminarleiter einzustellen pflegt („daß... der Versuch, aus der ungeheuren 
Fülle des Materials gewisse leitende Grundsätze für die richterliche Prozeß- 
leitung zu entwickeln, als aussichtslos aufgegeben werden müßte“ S. 178), 
aber er läßt. doch die wünschenswerfe Enntschiedenheit der Abwehr ver- 
missen, die für die Juristen nachgerade gegenüber den Prätensionen der 
experimentellen Psychologen zur ernsten Pflicht wird. Dadurch, daß man 
die einfache Erfahrungsweisheit mit den Kunstausdrücken der jüngsten 
philosophischen Modeschule kostümiert, Wahrnehmungsfunktionen, primäre 
und sekundäre Aussage und dergleichen Wortgeklingel mehr über die na- 
türlichen Schwierigkeiten der Beurteilung einer Aussage ergiekt, wird 
keines Menschen Erinnerung zuverlässiger, kein Schwätzer weniger konfus 
und kein Lügner zum Bekenner der Wahrheit. Es gibt da allerdings eine 
sehr dringende Arbeit, um die man sich mit dem groben Unfug der ex- 
perimentellen Psychologie herumzureden trachtet, nämlich die Erziehung
	        
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