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der Kinder zu genauer Beobachtung und möglichst klarer Wiedergabe
ihrer Eindrücke in der Schule Hierüber hat schon Ruskın das Beste
gesagt. Aber selbst dann, wenn diese jetzt so schmählich vernach-
lässigte Aufgabe erfüllt wird, wird es noch unerzogene und ungezogene
Zeugen geben, mit denen der Richter muß fertig werden können und da-
bei wird ihm nach wie vor ganz allein sein „Menschenverstand“ und seine
selbsteigene Erfahrung helfen können und keine wissenschaftliche Regel,
auch wenn sie auf hunderttausend schön präparierten Universitätstheater-
vorstellungen beruht. Man braucht ja nur die Hauptvorschrift der ZPO.
selbst zu nehmen, aus der die Geltung der „primären Aussage“ in unserem
Prozeßrecht gefolgert wird, das ungestörte Erzählenlassen und erst nachher
Fragen: Das geht vielleicht in fünfzig von hundert Fällen mit einigem Er-
folg, in anderen fünfundzwanzig Fällen geht es nicht, weil der Zeuge
überhaupt nicht im Stand ist, irgend etwas im Zusammenhang anzugeben,
und in weiteren fünfundzwanzig — und das sind dann die gefährlichsten —
geht das Gesetz mit seiner Regel fehl, weil der Zeuge zu jener Art Men-
schen gehört, die in wildes Schwadronieren und Lügen hineinkommen,
wenn sie sich selbst „im Zusammenhang“ reden hören, während sie bei
zweckmäßiger Unterbrechung und nüchterner Leitung ganz gut bei der
Wahrheit zu halten wären; einem Zeugen aber, der sich durch seine eigene
primäre Aussage schon in einen ganzen Zusammenhang von Uebertreibungen
hineingesteigert hat, kann nachträglich auch der beste Verhandlungsleiter
schwer zu zuverlässigen Angaben zurückführen.
LEvIN hat seine Ergebnisse in sehr gut gefaßten Leitsätzen summiert,
die dem Buch am Schluß beigegeben sind; das im besten Sinn gerechte
Maß und die Sachlichkeit, die seinen Ausführungen durchweg eigen sind,
zeigen sich hier noch einmal aufs beste. Wenn ich noch etwas als be-
'sonders beherzigenswert und auch in der Wärme der Ueberzeugung sehr
sympathisch hervorheben sollte, so wären es die Ausführungen über das
Zusammenarbeiten von Richter und Anwalt S. 55 fg. 233, 265 (Leit-
sätze 4—6).
Mendelssohn Bartholdy.
@. von Below. Der deutsche Staat des Mittelalters. Ein
Grundriß der deutschen Verfassungsgeschichte. 1. Band: Die all-
gemeinen Fragen 1914. Verlag von Quelle und Meyer in Leipzig
XX und 387 S.
BeLow hat im Vorwort eine besondere Deutung für den Titel seines
Werkes gegeben: es soll die verfassungsgeschichtlichen Arbeiten des Frei-
burger Historikers weiterführen bis zu dem entscheidenden Punkt, an dem
ein zusammenfassendes Urteil über den öffentlich-rechtlichen Charakter der
älteren deutschen Verfassung möglich wird; es soll, wie an anderer Stelle
des Vorworts gesagt wird „ein Gang durch die deutsche Verfassungsge-