Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

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1. 
Auf den ersten Blick scheint der Frieden vor dem Kriege so 
offenbar den Vorzug zu verdienen, daß man eine gegenteilige 
Auffassung für unmöglich halten sollte. Was trotzdem für sie 
geltend gemacht werden kann, ist von MOLTKE in dem Gedanken 
ausgesprochen, daß Kriege notwendig seien, um die in einem 
Volke sehlummernden idealen Kräfte anzuregen und so das Volk 
vor Erschlaffung und dem Versinken in ein weichliches Genuß- 
leben zu bewahren. 
Aber so wenig man diesem Gesichtspunkte ohne weiteres die 
Berechtigung versagen darf, so wenig ist er geeignet, die Friedens- 
bewegung als verfehlt erscheinen zu lassen, und zwar aus einem 
doppelten Grunde. 
Sollte, wie MOLTKE zu meinen scheint, der Krieg durch eine 
Art Naturgesetz gefordert werden, so wird er in dem Umfange, 
wie es dadurch geboten ist, ganz von selbst und trotz aller ent- 
gegenstehenden menschlichen Bestrebungen bestehen bleiben. Da 
aber ganz gewiß nicht alle Kriege notwendig sind, so ist eine 
Bewegung, die auf eine möglichste Verminderung der Kriege 
hinausläuft, insofern berechtigt, als infolge jenes Naturgesetzes 
von ihr nur die unberechtigten Kriege getroffen werden 
können. 
Der zweite Grund ist folgender. Auch wenn man dem Kriege 
einen günstigen Einfluß auf die menschliche Kulturentwickelung 
nicht bestreiten will, so wird man doch zugeben müssen, daß die 
Gefahr besteht, Kriege häufiger zu führen, als es durch diesen 
Gesichtspunkt gerechtfertigt ist. Man kann deshalb jedenfalls 
nur dahin gelangen, neben einer Tendenz, die den Krieg zu be- 
seitigen sucht, auch eine entgegengesetzte für berechtigt zu halten. 
Die Entscheidung darüber, welche von beiden Tendenzen unter- 
stützt werden soll, kann nur getroffen werden nach der Erwägung, 
daß als der erwünschte Zustand die Innehaltung einer mittleren 
Linie anzusehen ist. Dann aber verdient diejenige Tendenz Be-
	        
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