— 254 —ı
Behandeln wir zuerst die Rechtsfragen.
Zur Entscheidung bedarf es neben einem Gerichtshofe, der
zur Abgabe einer solehen berufen ist, sowie Vorschriften über
das zu beobachtende Verfahren vor allem einer materiellen
Rechtsnorm, die das Gericht zur Anwendung zu bringen
hat. Es kann dies nur dann, wenn entweder über die in Frage
kommende Norm kein Streit besteht, oder wenn auch hinsicht-
lich dieses Punktes ihm die Entscheidung übertragen ist.
Der Mangel solcher Normen bildet bisher — abgesehen von
der Schwierigkeit, daß die streitenden Staaten sich einem Schieds-
gerichte unterwerfen — das Haupthindernis für die Erledigung
internationaler Rechtsfragen. Die beste Grundlage bieten inter-
nationale Verträge, aber sie sind nur in sehr beschränk-
tem Umfange abgeschlossen. Soweit sie nicht bestehen, muß
auf das allgemeine Völkerrecht zurückgegriffen wer-
den, aber dieses ist bisher noch recht unvollkommen entwickelt.
Außerdem gibt es hier nicht, wie im Privat- und Staatsrecht,
Gesetze. die von den dazu berufenen Organen erlassen sind, son-
dern die Ausbildung des Völkerrechts ist bisher im wesentlichen
der Wissenschaft überlassen geblieben. Die Folge davon ist ge-
wesen, daß die Anzahl von Rechtssätzen, über die allgemeine
Uebereinstimmung besteht, recht gering ist, während bei den
meisten Ansichten gegen Ansichten stehen.
Soll deshalb das internationale Schiedsgerichtswesen gefördert
und auf eine solche Stufe gehoben werden, daß man von ihm
eine erhebliche Einschränkung der Kriege erwarten darf, so muß
der erste Schritt darın bestehen, die materiellen Rechts-
normen des Völkerrechts weiter auszubilden.
Wie innerhalb der einzelnen Staaten das Staatsrecht in den Ver-
fassungsgesetzen, das Strafrecht in einem Strafgesetzbuche und
das Privatrecht in einem Zivilgesetzbuche niedergelegt ist, so
muß auch das internationale Recht kodifiziert werden. Auf dem
Gebiete des Privatrechts hat man diese Aufgabe bereits ins Auge