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zu dessen Bildung zurückgeführt werden kann, dennoch als
stillschweigend vom Staat gewollt behandelt‘ So
eröffnet auch sie einen weiten und bedeutsamen Raum für die
Geltung eines nicht ausdrücklich erklärten sondern nur zu er-
schließenden staatlich normierenden Willens.
III. Empirisch zeigt uns der Staat in historischen Epochen
seiner Entwieklung einen äußerst geringen Vorrat an
Festsetzungen rechtlichen Inhalts oder an Gesetzen.
Von ihnen gilt der Satz des Tacitus: plus valent boni mores
quam bonae leges. Die Aufstellung des Maßes und die Messung
erfolgt unter Einem oder das Maß des Falls wird im Einzel-
fall erst aus sittlichen, ethischen, politischen Gesichtspunkten ge-
wonnen. Es ist die Epoche des Gesetzes in Urteils-
form. In der Entwicklung des durch eigene Behörden heraus-
zubildendenDisziplinar-, Standes-, Berufspflichten-Ehrenrechtes be-
sitzen wir ein modernes Analogon derartiger aus Anlaß des
Einzelfalles aufgestellter Normen a posteriori. Jeder
muß selbst wissen, was seine Pflicht ist. Unkenntnis der nirgend
geregelten Pflichten entschuldigt ebensowenig als Unkenntnis des
Gesetzes.
Der ständisch-monarchische Staat entbehrt eines kodifizierten
Verfassungsrechts nach Art jenes der kontinentalen konstitutio-
nell-monarchischen Staaten. Die bedeutsamsten Sätze des modernen
englischen Staatsrechts sind nicht kodifiziert. Auch die Zu-
lässigkeit der Bildung des@Gewohnheitsrechtsist
nicht kodifiziert. Positives Verfassungsrecht entsteht im
ständisch-monarchischen Staate durch einseitige, nicht publizierte
Akte des Monarchen, durch Instruktionen, Verwaltungsverordnungen,
Vollmachtserteilungen, wofür die Geschichte der österreichischen
Gesamtstaatsidee Beispiele von epochaler Bedeutung bietet, durch
Verträge der Fürsten mit den ständischen Korporationen, endlich
* KELSEN a. a. OÖ. S. 100 ff.