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Kaiserlichen Regierungsakten, im Hinblick auf das Bedürfnis, den
Staat nicht dem turbulenten Treiben intransigenter Parteien
zu opfern, mit Sicherheit vorherzusagen. Wie schwach die stüt-
zende Kraft des Rechtsmaßes ist, bekundet auch jedes Handbuch
oder System eines positiven Rechts, das, wohin man immer mit
der Nadel mit geschlossenen Augen stechen mag, Kontroversen
entwickelt, bekundet das Schwanken des Richters von der ersten
Ueberlegung bis zur Entscheidung, das Schwanken der kollegialen
Beratung von ihrem Beginne bis zu ihrem Abschluß, das Schwan-
ken der Rechtsprechung im Ganzen, die Spannung der Rechts-
kundigen über den Ausgang eines selbst nur auf eine Rechts-
frage hinauslaufenden Prozesses. Sehr bezeichnend, wenn auch
in barbarischem Deutsch, spricht das Handschreiben MARIA
THERESIAs vom 1. Mai 1749, mittels dessen die oberste Justiz-
stelle ins Leben gerufen wurde, von den in Streitsachen
zu verfallen das Unglück habenden Parteien. Zu den
größten Risiken gehört das Prozeßrisiko. Gilt dies von jenen
Normen, deren Urhebern jede Neigung zum Orakelhaften fern lag,
so wird eine breite Bahn für die Entwicklung der Norm a pos-
teriori eröffnet, durch die bewußt dunkel gelassenen, kompro-
missarischen, diplomatischen Formeln, die für die Erledigung der
ständischen Beschwerden, für das konstitutionelle Staatsrecht, es
mag sich wie das englische oder ungarische an das ständische
angliedern oder in einer ganz modernen Kodifikation niedergelegt
sein, so bezeichnend sind !®. Lehrreiche Beispiele hiefür bieten die
Frage des Budgetkonflikts, über die das positive Staatsrecht mit
der Sprache nicht herausrücken will, die augenscheinlich bewußten
Antinomien der österreichischen Dezemberverfassung in betreff
der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Reichsrat und
den Landtagen, die Stellung der österreichischen und der ungari-
schen Gesetzgebung des Jahres 1867 in betreff der staatsrecht-
10 Vgl. auch WALTER JELLINER a. a. O. S. 167.