Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

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wieder die Uebertragung seiner Lösung auch dort, wo keine 
Normen hiefür bestehen, an einen Verfassungsgerichtshof 
empfiehlt!®, der doch nur als Schiedsgericht mit Normen a posteriori 
fungieren könnte. Diese auf die Gesetzesstaatstheorie zurückzu- 
führende Insolvenzerklärung der Rechtswissenschaft findet ihr 
eigenartiges Gegenstück in der Preisgebung des (Gesetzes- und 
Verfassungsstaates durch die Anerkennung der in verfassungs- 
widrigen Formen sich vollziehenden Verfassungswandlungen °". 
X. Wenn uns so die Erfahrung Normen zeigt, die von der 
formalen Jurisprudenz als solche des Staates erklärt werden, und 
nach denen, trotzdem sie nicht aufgehoben wurden, der 
Staat nicht handelt und nicht exequiert, dann aber wieder Han- 
deln und Exequieren, das die formale Jurisprudenz als solches des 
Staates anerkennt, trotzdem es nicht Handeln und Exeguieren nach 
vorher aufgestellten Normen ist, so wird hiedurch das Ergeb- 
nis der erkenntnistheoretischen Betrachtung in sein Gegenteil 
verkehrt und nimmt gegenüber der Erfahrung den Charakter einer 
politischen Forderung an, wie dies denn in der Tat von dem 
auf der Gesetzesstaatstheorie aufgebauten System des konstitutio- 
nellen Staates gilt. Der politische Charakter dieser Forderung 
wird dadurch nicht berührt, daß sie zugleich als logische, aus dem 
Wesen des Rechts folgende hingestellt wird. Praktisch scheitert 
diese Forderung an dem physischen, durch besondere politische 
Verhältnisse noch gesteigerten Unvermögen ?!, auch nur zu dem 
Gegenwärtigen und Bekannten, geschweige denn zu dem zukünf- 
tigen Unbekannten mittels bereitstehender Normen Stellung zu 
nehmen und an der Unzulänglichkeit der Sprache für eine getreue 
— 
19 GEORG JELLINEK, Gesetz und Verordnung (1887) S. 309. 
20 }EORG JELLINEK, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung 
(1906); der bei WALTER JELLINEK a. a. O. S. 186 angeführten Literatur 
ist beizufügen T#zwer, Wandlungen der österreichisch-ungarischen Reichs- 
idee (1905). 
21 Dies gilt ganz besonders von der konstitutionellen Gesetzgebung 
Oesterreichs.
	        
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