Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

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Wiedergabe eines Willensinhaltes. Darum liegt auch im modernen 
Gesetzesstaate — und dies wird von Tag zu Tag deutlicher — der 
Schwerpunkt der Rechtsbildung nicht im Gesetze sondern in der 
originären d.i. nicht auf bereitgestellte Normen zurückführbaren und 
unter solche Normen nicht subsumierbaren Rechtsprechung durch 
Urteil, Entscheidung und Rechtsübung. Diese originäre Recht- 
sprechung und Uebung füllt den gewaltigen Umfang des gesetzes- 
leeren Raumes aus ®* und beherrscht das ebenso große Gebiet des 
Gesetzeszweifels und der Gesetzesunsicherheit. Welche von meh- 
reren sprachlich möglichen Deutungen das richtige und wahre Recht 
sei, das wird nicht mehr nach dem in würdevolles Stillschweigen 
sich hüllenden Gesetze sondern nach außergesetzmäßigen Normen 
entschieden, die nach der Verschiedenheit des Falls auf ethischen, 
sozialen, volkswirtschaftlich-technischen Erkenntnissen ruhen °®. 
Ein über dieses richtige Recht diskutierendes Spruchkollegium 
bildet darum ein wahrhaftes Gesetzgebungskollegium und 
kein Seminar für Uebungen in der Logik, wenn man unter 
Logik mehr als Logik der Zweckmäßigkeit, Klugheit oder mehr 
als Ideologik versteht. Das alles gilt also nicht bloß für den 
Fall der gesetzlichen Anweisung zur Ermessensübung, sondern im 
ganzen Umfange des auch die sogenannte gebundene Rechtsprechung 
beherrschenden Auslegungsermessens. 
XI. Wissenschaftlich ist nicht nur die Feststellung, wie die 
Rechtsprechung und die Rechtsübung vom Standpunkte des Be- 
griffs der Norm als bereitgestellten Rechtsmaßes und der juri- 
stischen Methode als nur logisch-formaler Subsumtionstätigkeit 
beschaffen sein sollte, sondern auch die Erkenntnis, wie sie 
wirklich beschaffen ist. Wissenschaftlich ist auch die Erkenntnis 
  
22 Man denke an das internationale Privatrecht in jenem Zustande, in 
dem so gut wie keine diesen Gegenstand regelnden Gesetze bestehen, ein 
Zustand, in dem sich das internationale Verwaltungsrecht noch jetzt be- 
findet, an das Problem der Staatensukzession usw. 
23 Was ich in Hirths Annalen des Deutschen Reiches (1902) S. 639 für 
das Staatsrecht ausgeführt habe, gilt auch für die anderen Rechtsgebiete.
	        
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