Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

— 35 — 
Schultze Alfred, Stadtgemeinde und Kirche im Mittelalter, 
Sonderabdruck aus der Festschrift für Dr. RupouLr SoHM, München 
und Leipzig, Duncker & Humblot (1914), 37 8. 
Diese interessante Betrachtung gibt einen Ausblick auf ein in der 
letzten Zeit sehr eifrig bearbeitetes Neuland der Rechtsgeschichte. 
Verf. schildert nicht weiter die schon hinlänglich bekannte Einfluß- 
nahme der Stadtgemeinden auf die Pfründebesetzung, sondern es ist eine 
bisher nicht genug gewürdigte Quelle städtischer Macht auf kirchlichem 
Gebiete, die er uns aufdeckt. Eigenartigerweise ist es das Privatrecht, das 
den Städten die Handhabe zur Vermehrung ihrer Aufsichtsrechte gibt. Die 
Privatrechtsgeschäfte der Jahrtagsstiftungen und der sonstigen als Seel- 
gerät bezeichneten, im Interesse des Seelenheils gemachten Zuwendungen 
(8. 111 ff.) enthielten häufig eine Treuhandsklausel zugunsten des Stadtrats 
(S. 116 ff.). Verf. zeigt am Falle von Neuenburg (Oberrhein. Stadtrechte 
II, 3 No, 81), wie der Rat „bestrebt“ war, die „Altarpfründen in seine Hand 
zu bekommen“ (8. 119). In manchen Fällen hatte sich der Rat sogar zum 
„Generaltreuhänder* für „kapellenstiftende Bürger“ gemacht (S. 123). Die 
Bedeutung dieses starken Einflusses der Stadtverwaltungen auf kirchliche 
Stiftungen ist auch allgemein historisch nicht zu unterschätzen, denn sie 
zeigt uns die Ansatzpunkte, welche einem reformationsfreundlichen Stadt- 
rate zur Verfügung standen. Durch A. SCHULTZEs Lupe der Treuhänder- 
schaft sehen wir also in ganz neue Zusammenhänge hinein. — Ob nun 
diese Fälle des mittelalterlichen Seelgeräts mit Einräumung eines Aufsichts- 
rechtes an die Stadtverwaltung immer als Treuhandsverhältnisse zu be- 
trachten sind, lasse ich dahingestellt. 
Weiter hat die mittelalterliche Stadt als „Genossenschaft“, d. h. „von 
sich aus“, nicht nur auf dem Umwege von Privatrechtsgeschäften sich der 
kirchlichen Dinge bemächtigt (S. 129 ff). In gewissen Städten wurde der 
Rat zum Träger der kirchlichen Vermögensverwaltung hinsichtlich der 
pfarrkirchlichen Fabrik (Baufonds usw.). In eingeschränkter Weise ergab 
sich mancherorts auch eine Oberaufsicht des Rates über die Pfründever- 
waltung (S. 130 ff.). 
Zum Schlusse weist A. SCHULTZE auf eine städtische Kirchenordnung 
von Neuenburg hin, die eigenartigerweise schon im Jahre 1403 eine kirch- 
liche Kommission kennt, welche aus dem Pfarrer und zwei Vertretern der 
Stadtgemeinde sich zusammensetzte, derart, daß also der Pfarrer überstimmt 
werden konnte (8.138 ff.). Dieser „Verbürgerlichung“ der Kirchenordnungen 
nachzugehen, wäre noch eine dankenswerte Aufgabe für die spätere For- 
schung. 
Lausanne-Chailly. K. Haft.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.