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Schultze Alfred, Stadtgemeinde und Kirche im Mittelalter,
Sonderabdruck aus der Festschrift für Dr. RupouLr SoHM, München
und Leipzig, Duncker & Humblot (1914), 37 8.
Diese interessante Betrachtung gibt einen Ausblick auf ein in der
letzten Zeit sehr eifrig bearbeitetes Neuland der Rechtsgeschichte.
Verf. schildert nicht weiter die schon hinlänglich bekannte Einfluß-
nahme der Stadtgemeinden auf die Pfründebesetzung, sondern es ist eine
bisher nicht genug gewürdigte Quelle städtischer Macht auf kirchlichem
Gebiete, die er uns aufdeckt. Eigenartigerweise ist es das Privatrecht, das
den Städten die Handhabe zur Vermehrung ihrer Aufsichtsrechte gibt. Die
Privatrechtsgeschäfte der Jahrtagsstiftungen und der sonstigen als Seel-
gerät bezeichneten, im Interesse des Seelenheils gemachten Zuwendungen
(8. 111 ff.) enthielten häufig eine Treuhandsklausel zugunsten des Stadtrats
(S. 116 ff.). Verf. zeigt am Falle von Neuenburg (Oberrhein. Stadtrechte
II, 3 No, 81), wie der Rat „bestrebt“ war, die „Altarpfründen in seine Hand
zu bekommen“ (8. 119). In manchen Fällen hatte sich der Rat sogar zum
„Generaltreuhänder* für „kapellenstiftende Bürger“ gemacht (S. 123). Die
Bedeutung dieses starken Einflusses der Stadtverwaltungen auf kirchliche
Stiftungen ist auch allgemein historisch nicht zu unterschätzen, denn sie
zeigt uns die Ansatzpunkte, welche einem reformationsfreundlichen Stadt-
rate zur Verfügung standen. Durch A. SCHULTZEs Lupe der Treuhänder-
schaft sehen wir also in ganz neue Zusammenhänge hinein. — Ob nun
diese Fälle des mittelalterlichen Seelgeräts mit Einräumung eines Aufsichts-
rechtes an die Stadtverwaltung immer als Treuhandsverhältnisse zu be-
trachten sind, lasse ich dahingestellt.
Weiter hat die mittelalterliche Stadt als „Genossenschaft“, d. h. „von
sich aus“, nicht nur auf dem Umwege von Privatrechtsgeschäften sich der
kirchlichen Dinge bemächtigt (S. 129 ff). In gewissen Städten wurde der
Rat zum Träger der kirchlichen Vermögensverwaltung hinsichtlich der
pfarrkirchlichen Fabrik (Baufonds usw.). In eingeschränkter Weise ergab
sich mancherorts auch eine Oberaufsicht des Rates über die Pfründever-
waltung (S. 130 ff.).
Zum Schlusse weist A. SCHULTZE auf eine städtische Kirchenordnung
von Neuenburg hin, die eigenartigerweise schon im Jahre 1403 eine kirch-
liche Kommission kennt, welche aus dem Pfarrer und zwei Vertretern der
Stadtgemeinde sich zusammensetzte, derart, daß also der Pfarrer überstimmt
werden konnte (8.138 ff.). Dieser „Verbürgerlichung“ der Kirchenordnungen
nachzugehen, wäre noch eine dankenswerte Aufgabe für die spätere For-
schung.
Lausanne-Chailly. K. Haft.