Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

Zur Psychologie des Staates. Inaugurationsrede von Adolf 
Menzel d. z. Rektor der k. k. Universität in Wien. Wien 1915 bei 
Adolf Holzhausen. : 
Während der rein politische, auf die Gegenwart und Zukunft bezüg- 
liche Gehalt der vielbemerkten Inaugurationsrede MENZELS bereits in der 
deutschen und österr. Tagespresse volle Würdigung gefunden hat, blieb der 
dichtgedrängte wissenschaftliche Unterbau, die „Staatspsychologie*, 
unberücksichtigt. Erst die vorliegende Sonderausgabe, der umfassende 
Literaturangaben angefügt sind, gibt vollen Aufschluß über die letzten all- 
gemeinen Grundlagen, auf welche MENZEL die gegenwärtige Blütezeit des 
Staatsgedankens zurückführt. Der Staat ist ihm Erzeugnis des mensch- 
lichen Seelenlebens, worin das politische Gemeinwesen seine eigentlichen 
Wurzeln findet und beruht auf Solidarität und Autorität (Ge- 
meinschaft und Unterordnung). Die inneren Ursachen dieser beiden 
(übrigens schon von GIERKE, OÖ. Hıntze, H. DELBRÜCK u. a.) beachte- 
ten konstruktiven Elemente, deren Stärke und Mischungsverhältnis sich 
im Lauf der geschichtlichen Entwicklung mannigfachst abstuft, liegen 
nun vornehmlich in der seelischen Konstruktion der zum Staate ver- 
einigten Menschen, wobei sich besondere Vorstellungen, Gefühle und 
Willensregungen kollektiver Natur als die Träger jener staatlichen 
Organisationsprinzipien erweisen. Ohne ein, mindestens laten- 
tes Gefühl der politischen Gemeinschaft könnte die- 
selbe nichteinen Tag bestehen (für den Nachweis des Zusam- 
menhanges der einzelnen Staatsformen mit den seelischen Dispositionen 
verschiedener Völker und Zeiten bedeute deswegen LAMPRECHT, wie MENZEL 
nicht ohne einigen Vorbehalt anerkennt, einen großen Fortschritt). Im 
Mittelpunkte einschlägiger Untersuchungen stehe der sog. Patriotismus, 
dessen Beziehungen zur Solidarität aus Religionsgemeinschaft und National- 
gefühl als Aufgabe der Staatspsychologie zu untersuchen wären. Als 
Grundgesetz hebt MENZEL die „Enge des Bewußtseins in der Volks- 
seele* (ohne „metaphysischen® Nebensinn!) hervor. Daß z. B. gegenwärtig 
die nationalen und religiösen Gemeinschaftsgefühle in den Hintergrund 
treten, beruhe eben auf diesem Grundgesetze. Die neueste Steigerung des 
Vaterlandsgedankens, als Zusammenfassung aller im Volke schlummernden 
Energien, in der Natur der politischen Gemeinschaft tief begründet und in 
Friedenszeiten latent, trete in volle Aktivität, wenn die Existenz eines ge- 
sunden Staatswesens bedroht erscheine und erweise dann den Staat als ein 
mächtiges Lebewesen, dem sowohl die einzelnen als die gesellschaftlichen 
Klassen untergeordnet sind. Also voller Gegensatz zu der individua- 
listischen Staatslehre wie zur sozialistischen von der Klassenherrschaft 
und gleichzeitig Beleg für MEnZELs „energetische Theorie des Staa- 
tes, als Gesamtheit der Einrichtungen, welche dazu dienen, die Kollektiv- 
kraft eines Volkes zu bilden und über sie zu verfügen‘, welche Lehre übri- 
gens dem „Handbuch der Politik“, I. 8. 41 ff. zu entnehmen ist. 
Wittmayer (Wien).
	        
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