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Macht unterdrückt, also vergewaltigt, fehlt in unserem Fall dieser
Konflikt, denn — und darüber besteht kein Zweifel — mit diesem
Verfassungsbruch sind alle zur Bildung des Staatswillens berufenen
Faktoren einverstanden. Es ist — um die Erscheinung an einem
Beispiel des täglichen Lebens zu illustrieren — das gleiche, als
wenn vier Bridgespieler in stillschweigendem Einverständnis eine
Spielregel nicht einhalten. Niemand wird ihnen Falschspiel vor-
werfen können. Wie auf so vielen anderen Gebieten, so zeigt
uns der Krieg auch auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes
neue Gesichtspunkte, nach denen wir die Betrachtung der Dinge
neu orientieren müssen. Wir waren bisher gewohnt aus den das
Zustandekommen des Staatsrechtes regelnden Normen auf das
Wesen des Staatswillens selbst zu schließen. Wenn diese Normen
bestimmten, daß der Staatswille durch in bestimmten Formen auf-
tretende Uebereinstimmung des Willens von Krone und Parlament
zustande kommt, so waren wir meist geneigt anzunehmen, daß
der Staatswille eben die Willensübereinstimmung von Krone und
Parlament ist, daß mit dieser Definition das Wesen des Staats-
willens erfaßt und auch erschöpft ist. Der vorliegende Fall zeigt
aber, daß diese Form des Staatswillens eben nur eine Erschei-
nungsform des Staatswillens ist, aus der keineswegs der Schluß
gezogen werden kann, daß der Staatswille nicht auch in einer
anderen Form in Erscheinung treten kann, genau so wie in der
Erscheinungsform „Eis“ das Wesen des Wassers nicht erschöpft
ist. Damit soll nicht ein mystischer Staatswille, ein „Staatswille
an sich“ konstruiert werden, der hinter der Wirklichkeit sein
Wesen treibt, sondern nur eine Tatsache konstatiert werden, an
der man nicht vorbeigehen kann, wenn man tiefer in das Wesen
und das Leben des Staates blicken will.
Ihrem Zwecke und ihrer Stellung außerhalb des Rechtssystems
entsprechend, tritt die Prisengerichtsordnung als eine provisorische
Maßnahme auf. Der $ 1 hebt ausdrücklich hervor, daß sie nur