Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 36 (36)

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tale, das bisherige Völkerrecht rücksichtslos verletzende Kriegführung geht 
von England aus, welches stets, gestützt auf seine geographische Lage 
und seine überragende Seemacht, jeden Angehörigen des feindlichen Staates 
als einen Landesfeind behandelte und als das Ziel des Krieges ansah, die 
Bevölkerung des feindlichen Staates möglichst zu beschädigen, im Wett- 
bewerb des Handels konkurrenzunfähig zu machen, es vom Güteraustausch 
auszuschließen und es so viel als möglich zu ruinieren und zum Wider- 
stand gegen die englische Tyrannei unfähig zu machen. Dies war von je- 
her der englische Begriff des Kriegs und in dieser Hinsicht stand England 
im Gegensatz zu allen anderen Staaten, welche für die Art ihrer Krieg- 
führung die völkerrechtlich vereinbarten Regeln anerkannten. Dazu kommt 
die oft bewiesene, sprichwörtlich gewordene Perfidie, Gewissenlosigkeit 
und Vertragsbrüchigkeit Englands. Frankreich steht im Weltkrieg 
unter dem Einfluß, ja unter der Botmäßigkeit und Oberherrschaft Englands 
und ist genötigt, die englische Art mitzumachen, was dem leidenschaft- 
lichen Nationalhaß der Franzosen gegen Deutschland und ihrem, durch eine 
frivole Hetzpresse aufgestachelten Rachegefühl sympathisch ist. Die Ver- 
wüstungen von Ostpreußen und Galizien durch russische Horden wird 
man aber in keinem Falle als Betätigungen eines neuen Völkerrechts 
ansehen dürfen. Regierung und Volk in Rußland stehen auf einer so nie- 
drigen Kulturstufe, daß ihnen das Rechtsempfinden zivilisierter Völker fehlt. 
Wenn Russen ein Gebiet des Feindes verwüsten, so ist dies nicht Ausübung 
eines vom Völkerrecht anerkannten Rechts, sondern steht auf gleicher Stufe 
mit der Verwüstung eines bestellten Ackers oder eines Gartens durch ein 
Rudel von Wildschweinen, Es ist nicht anzunehmen, daß das Völkerrecht 
der Zukunft so tief sinken könnte, daß es die von den Russen verübten 
scheußlichen Verbrechen rechtfertigen könnte. Die Mittelmächte end- 
lich haben die der englisch-französischen Art der Kriegführung entsprechen- 
den Maßregeln in allen Fällen ausdrücklich als Vergeltungshandlungen er- 
klärt und dadurch anerkannt, daß sie dem Völkerrecht nicht entsprechen, 
sondern durch die von den Feinden verübten schamlosen Verletzungen des 
Völkerrechts hervorgerufen- sind. Es fehlt also — abgesehen von England, 
welches sich stets außerhalb der völkerrechtlichen Gemeinschaft des Kriegs- 
rechts gehalten hat — bei den am Weltkrieg beteiligten Nationen an der recht- 
lichen Ueberzeugung, daß sie zu den bisher unerhörten und durch völkerrecht- 
liche Verträge aus neuester Zeit ausdrücklich verworfenen Maßnahmen durch 
ein neues, seit dem August 1914 plötzlich entstandenes Völkerrecht ermächtigt 
seien; also an dem Erfordernis der sogenannten opinio juris. Dazu kommt, 
daß nicht nur gegen die feindlichen, sondern auch gegen die neutralen 
Staaten England ‘und seine Verbündeten die brutalsten Gewalttätigkeiten 
verübt haben, welche die Neutralen keineswegs als nach einem neuen 
Völkerrecht zulässig, sondern im Gegenteil als völkerrechtswidrige Miß- 
handlungen empfinden.
	        
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