Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 36 (36)

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durch gegenseitiges Nachgeben und unter wesentlicher Mithilfe der Wissen- 
schaft gewonnener Umkreis von Materien“ ergeben, der den Vorbehalt des 
Gesetzes ausmache und den man als den „deutschen staatsrechtlichen Be- 
griff des Gesetzes im materiellen Sinne bezeichnen könne“, mit einem 
durchaus „historisch-konventionellen Rechtssatzbegriff“ (S. 176ff.). „Nach 
rückwärts zerreißt dieser materielle Vorbehalt die vorkonstitutionellen Ge- 
setze in vorbehaltsgeschützte und verordnungsförmig veränderliche Normen“ 
(S. 178), namentlich was die Individualverfügungen des Landesherrn (leges 
speciales) anlangt (S. 179--183). Jedenfalls sind auch im Geltungsbereiche 
dieser vormärzlichen Verfassungen „die neueren Gesetze ,. allgemein un- 
verbrüchlich“ und etwaige „Sondervorbehalte“ gegen Individualakte „inso- 
weit überholt, aber nicht weil das in der Verfassung stände, sondern weil 
die neuen Gesetze als unverbrüchlich vereinbart und gemeint sind“ (S. 183). 
Bezüglich Preußens erachtet THOMA nichts „natürlicher, geschichtlich 
und exegetisch einleuchtender“, als daß die preußische Verfassungsurkunde 
die französisch-belgische Vorbehaltsgestaltung gewählt hat, die mit dem 
formellen Gesetzesbegriff und dem vorhandenen Schatze von formellen Ge- 
setzen der vorausgehenden Staatsverfassungsepochen arbeitet (S. 185). Die 
herrschende Lehre, Art. 62 der preußischen Verfassungsurkunde enthalte 
bereits den materiellen Gesetzesbegriff, sei unhaltbar, soweit es auf den 
Sinn der Verfassungsurkunde ankomme, gebe aber, wie Verfasser (S. 186) 
anerkennt, allerdings das heute geltende Recht getreulich wieder, das 
sie in gewohnheitsrechtlicher Wandlung des ursprünglichen im Bunde mit 
andern Ursachen selber geschaffen habe. In der zum Nachweise unter- 
nommenen durchaus lesenswerten Auseinandersetzung mit den Materialien 
sowie der älteren und neueren Literatur (S. 186—206), auf welche hier be- 
greiflicherweise nicht näher eingegangen werden kann, — es wird darin auch 
des „entscheidenden, sozusagen bewußten Fehltritts v. STOOKMARS in seinen 
„Studien zum preußischen Staatsrecht“ (1867) Erwähnung getan — berührt 
Verfasser auch das „Problem der Unterscheidung zwischen vorkonstitu- 
tionellen Normen mit und ohne Gesetzeskraft“, bzw. die Vorrangseigen- 
schaft (Unverbrüchlichkeit) vorkonstitutioneller königlicher Erlasse und 
was damit zusammenhängt, das heutige Verordnungsrecht der preußischen 
Krone (8. 198—211). Auch bezüglich der Vorrangseigenschaft dieser alten 
Erlasse gibt es formelle (auf das Publikationsmerkmal abgestellte) und 
materielle Theorien, die aber in ihrer Feinheit nach dem Verf. selbst gegen- 
über der rauhen Praxis versagen mußten (S. 207). Er glaubt indessen mit 
„hoher Wahrscheinlichkeit“ annehmen zu dürfen, daß nach dem ursprüng- 
lichen Sinn des preußischen Grundgesetzes die in der Gesetzsammlung ver- 
kündigten königlichen Erlasse der absoluten Zeit Vorrangskraft haben, also 
fortan nur mit Zustimmung des Landtags abgeändert werden können. Das 
selbständige königliche Verordnungsrecht sei ihnen gegenüber aus- 
‚geschaltet — mit Ausnahme etwa gewisser von GNEIST (Gesetz und Budget 
Archiv des öffentlichen Rechte. XXXVI. 2. 17
	        
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