—_— 254 —
daß es sich bei den deutschen Verfassungen um bodenständige Erschei-
nungen handelt, die viel aus ihrer eigentümlichen Vergangenheit übernom-
men und erhalten haben. Diese Vergangenheit war das altständische
System, das sich namentlich in den deutschen Kleinstaaten unter dem
Absolutismus in gewisser Weise gehalten hatte und nicht durch eine Re-
volution und darauffolgende Militärdiktatur wie in Frankreich in seinen
Wurzeln vernichtet worden war. Insbesondere bestätigt sich auch die
Auffassung, daß man den Einfluß der französischen Verfassungen, nament-
lich der Charte Ludwigs XIV. nicht überschätzen darf (vgl. MEISNER, Lehre
vom monarchischen Prinzip, in GIERKEs Untersuchungen S. 122, 278).
Man wollte bisweilen geradezu unmodern sein und hatte eine deut-
liche Abneigung gegen die „von fremden Nationen entlehnten Neuerungen“
(Hannoversches Reskript vom 26. X. 1819 bei InGELMANN S. 154). So
konserviert man denn z, B. in Sachsen-Hildburghausen geflissentlich den
altständischen Dualismus auf dem Gebiete der Finanzen, die peinliche
Unterscheidung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Einnahmen
(Domänen und Steuern). Den anderen Pol der Entwicklung bezeichnet
etwa die badische Verfassung, die man als die modernste der damaligen
Zeit ansprechen kann. (Bei Il. tritt dies zu wenig hervor.) Sie verdient
am ehesten das Prädikat einer repräsentativen Verfassung, insofern in ihr
als einziger das Prinzip schlichter Vertretung aus Stadt und Land ohne
Rücksicht auf ständische Einkastelung durchgeführt ist. Das Typische für
jene Frühzeit des deutschen Konstitutionalismus ist aber ein Kompromiß
zwischen Alt und Neu. Man hält beispielsweise an der sog. „dynamischen“
Repräsentation nach Ständen fest, unvermerkt aber haben diese sich zeit-
gemäß verwandelt, der adlige „Wehrstand“ etwa zu einer Großgrundbe-
sitzerklasse, bei der das Eigentum und nicht die Geburt ausschlaggebend
war (vgl. z.B. Vfg. von Sachsen-Weimar $ 2, von IMMELMANN S. 99 ver-
kannt!), das Ganze dazu auf Wahl gestellt. Im höchsten Grade charakte-
ristisch für diese Uebergangsgebilde ist die Terminologie (vgl. mein Mo-
narch. Prinz. S. 177, 252), sowie die an die Begriffe landständisch-reprä-
sentativ anknüpfende weitläufige Diskussion in der theoretischen Literatur,
ohne deren Berücksichtigung das in vorliegender Arbeit gestellte Thema
befriedigend nicht gelöst werden kann.
Charlottenburg. Heinrich O. Meisner.
R. Kjellen, Die politischen Probleme des Weltkrieges, übers. von STIEVE.
Teubner 1916. 142 8.
Der schwedische Gelehrte, dessen früher hier angezeigtes Buch, die
Großmächte, innerhalb zweier Kriegsjahre die elfte Auflage erlebte, nimmt
nunmehr zu den Problemen des Weltkrieges selbst Stellung und kann da-
bei ‚fast in jedem Punkte an die früheren Darstellungen anknüpfen“.
Auch die methodische Behandlung ist dieselbe geblieben: wie in den