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„Großmächten“ sollen auch diesmal die Staaten von vier Seiten her be-
trachtet werden, als geographisch organisierte Individuen oder Reiche, als
ethnische oder Völker, als ökonomisch-soziale oder Gesellschaften und hin-
sichtlich ihrer Verfassungsform (in der Sprache des Thema: geopolitische,
ethnopolitische, soziopolitische, verfassungs- und kulturpolitische Probleme).
Hiermit werden „die Staaten nicht (nur) als wandelnde Verfassungsschemate
oder Rechtssubjekte angesehen, sondern als große Lebewesen, als über-
individuelle Persönlichkeiten‘, „nicht“ bloß „in der beschränkten Bedeu-
tung einer Staatsverfassungsurkunde, wie sie unsere akademische Organi-
sation solange beherrscht hat“, soll von der „Staatswissenschaft“ die Rede
sein. Hierbei scheint uns wie so oft die juristische und soziale Erkennt-
nisweise des Staates vermengt zu werden. Beide schließen einander nicht
aus, sondern ergänzen sich (JELLINER). Kj. will die Staaten historisch-
politisch betrachten als soziale Erscheinungen mit dem hierdurch be-
dingten Reichtum der mannigfaltigen Beziehungen und Bedingtheiten ihres
konkreten Lebens. Daneben aber steht gleichberechtigt die juristische
Betrachtungsweise, die sich bewußt auf „die Erkenntnis der vom Staat
ausgehenden, seine Institutionen und Funktionen zu beherrschen bestimm-
ten Rechtsnormen® beschränkt, wie sie die Verfassungsurkunde zu-
sammenschließt. Bei dieser seiner historisch-politischen Betrachtungsweise
nun gelangt Kj. zur biologischen Staatsauffassung ; mit einer Art „Ehr-
furcht vor dem Leben“ betrachtet er die politischen Mächte als Organismen
höherer Ordnung, und hier findet er sich in Uebereinstimmung mit einer
großen Anzahl bedeutender Denker über das Wesen des Staates. Auf die
Bedenken und Schwierigkeiten, die sich einer solchen Definition des Staates
gegenüber erheben, soll hier nicht weiter eingegangen werden, zumal Kj.
selber sich bei diesen begrifflichen Auseinandersetzungen nicht lange
aufhält,
Lassen wir uns vielmehr sogleich hineinführen in die Fülle akut-poli-
tischer Probleme und konkretester Beziehungen innerhalb der staatlichen
Welt, wie sie der Krieg zeigt. Hinsichtlich der führenden Kräfte scheint
er zu bestätigen, was in dem früheren Buche als Zukunftsperspektive ge-
geben wurde. Die „Weltmächte“ katexochen haben als die schwereren
Körper die bloßen Großmächte in ihren Anziehungskreis gezogen; so sind
drei Klientelen unter je einem „Patron“ entstanden: Deutschland mit
Oesterreich, der Türkei und Bulgarien (die Idee eines „föderierten Zentral-
Europa“, die Kj. vor NAUMAnN verkündet hatte, ist auf dem Marsche),
England mit Frankreich, Italien, „in gewissem Grade auch“ Japan und
Belgien, endlich Rußland mit Serbien und Montenegro. Die „planeta-
rischen“ Mächte, soweit sie in diesem Kriege als Hauptspieler auftreten,
werden nun unter den oben angeführten Gesichtspunkten einer historisch-
politischen Betrachtungsweise gewissen Anforderungen unterstellt und aus
der Art und Weise, wie ihnen die Geschichte diese Existenzbedingungen