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dies fordern. Und deshalb werden nicht nur die Voraussetzungen
des Eintritts dieses Ausnahmezustands, sondern, und zwar selbst
für den Kriegsfall, die Rechte der Exekutive ganz genau um-
schrieben. Die Unabhängigkeit der Justiz erfordert dann aber,
daß auch dem vom Kriegsgericht Verurteilten die Kassationsbe-
schwerde zustehe, womit die Garantie dafür geschaffen wırd, daß
keine Uebergriffe vorkommen, und niemand seinem gesetz-
lichen (Art. 53 der Charte) Richter entzogen werden kann.
In Deutschland war und ist es im Gegensatz zu Frankreich
um die Gewaltenteilung ein eigenes Ding, und im Zusammenhang
damıt um die Herrschaft des Gesetzes, die Freiheit der Person
und deren Garantien. Einzig die Unabhängigkeit der Gerichte
erscheint durchgeführt. Im übrigen aber enthalten die deutschen
Verfassungsgesetze derartig zahlreiche Vorbehalte zugunsten des
Staatsoberhaupts oder des Inhabers der Exekutive in Gestalt der
Möglichkeit von „Oktroyrungen“ (Notverordnungsrecht), der Inne-
habung der Militärgewalt u. a. m., daß das Fehlen dem fran-
zösischen Rechtszustand nachgebildeter Vorschriften in den ersten
deutschen Verfassungsurkunden gar nicht aufgefallen zu sein
scheint. Und in einer ganzen Reihe von Staaten besaß man, als
man die französischen Einrichtungen des &tat de guerre und siege
kennen lernte, vorerst ja noch gar kein Verfassungsgesetz, son-
lichem Willen leicht aus zu großer Aengstlichkeit, und weil überhaupt
Militärpersonen gern an die Allmacht der Schreckensmaßregeln glauben,
zu Quälereien und Freiheitsbeschränkungen gemißbraucht wird, durch welche
eben die sonst der Regierung treuergebenen, aber denkenden Bürger
gegen sie gestimmt werden.“ — Man drückte sich vor zwei Menschen-
altern etwas anders aus, als wir es heute tun würden. In der Sache traf
man aber damals doch recht oft den Nagel auf den Kopf. Damit soll in-
dessen keineswegs gesagt sein, daß ich a priori jeder milit. Anordnung
ablehnend gegenüberstände oder sie für Willkür hielte. In außerordentlichen
Zeiten sind eben außerordentliche Maßstäbe anzulegen, wie ich das Annalen
1914 8. 642 ausgeführt habe. Ich gebe durchaus den Staat und der Mili-
tärverwaltung was ihres Amtes ist; deshalb braucht aber noch kein Ex-lex-
Zustand einzureißen, an den man leider nur allzuoft erinnert wird.
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