Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 36 (36)

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darin liegt das Bedenkliche jener Argumentation. Wir leben 
heute nicht mehr in den patriarchalen und wirtschaftlich relativ 
unentwickelten Verhältnissen, wie vor zwei Menschenaltern. Es 
wird sich also darüber streiten lassen, ob es am Platze war, der 
ungewohnten Innehabung der Zivilgewalt durch den MBH. 1 
Konzessionen zu machen, wie das geschehen ist; doppelt bedenk- 
lich, wenn der MBH. die Sache ganz ernst nimmt und einen Be- 
rater zuzieht, von dessen unverantwortlicher Gewissensweite er 
dann wohl oder übel abhängt. Die bekannten Debatten im 
Reichstag haben gezeigt, daß sehr viele militärische Anordnungen 
sehr ihre zwei Seiten haben, und daß infolgedessen vielleicht 
recht unnötig sehr viel böses Blut entstanden ist. Ob es nötig 
war, daß in dieser Weise Grund zu Betrachtungen gelegt werden 
konnte oder gar mußte, die dem deutschen Ansehen und der Bewer- 
tung der deutschen Stärke im neutralen und feindlichen Ausland 
kaum zuträglich waren, wird sich aber bezweifeln lassen. Dazu kommt 
nun aber noch ein Punkt: die Fiktion der „belagerten Festung 
mit 70 Millionen Einwohnern“, die man sich mehr und mehr zu 
#8 Vgl. als Beispiel den Fall der Entsch. Nr. 6 in JW. 1916 S. 335 und 
dazu meine dort. Anmerkung. Daß auch 1!/,jährige Uebung noch nicht 
die erforderliche Routine geben kann, beweist die oben N. 147 erwähnte, 
im April 1916 ganz mechanisch erlassene binnenländische Verordnung 
über den Grenzverkehr. Einer Zivilverwaltungsstelle hätte dieser Lapsus 
auch unterlaufen können, gewiß. Aber viel wahrscheinlicher ist, daß etwa 
der Regierungspräsident die ministerielle Anweisung noch einmal darauf 
angesehen hätte, ob er sie als förmliche Polizeiverordnung oder nur als 
Belehrung über anderswo bestehende Verordnungen zu publizieren hatte. 
Noch sonderbarer mutet die Verordnung an, die im Januar 1916 über die 
Höchstpreise im Textilwarenverkauf erlassen wurde; hier wurde das „Ver- 
einbaren“ eines höheren Preises verboten und mit Strafe bedroht, nicht 
bereits das „Fordern. Die Folge war, daß das Kammergericht einen ganz 
bösartig liegenden Versuch der Ueberschreitung dieser Höchstpreise nur 
infolge des zufälligen Vorliegens besonderer Umstände als „Anreizen® zu 
jener Uebertretung fassen konnte. Eine hübsche Blüte behandelt v. STAFF, 
D. StrRZtg. 3 295. 
167 Auf den ich bereits wiederholt hingewiesen habe (Annalen 1915 
S. 351, JW. 1916 S. 336).
	        
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