Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

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Durch die Art der Konstituierung seiner Zentralgewalt wurde 
das Reich über die Form des völkerrechtlichen Staatenbundes, die 
dem Deutschen Bund sein Gepräge gegeben hatte, hinausgehoben; 
diese Erhebung erfolgte zwar nicht so weit, daß ein Einheitsstaat 
aus den Staaten entstand, wohl aber soweit, daß über den Staaten, 
die erhalten blieben, eine neue staatsrechtliche Gemeinschaft er- 
stand, die durch ihre eigenen Organe über ihre Rechtsform zu 
bestimmen vermag. Das Reich hat es selbst in der Hand, aus 
sich zu machen, was es will. Vertragsmäßige und staatliche 
Elemente sind in ihm in einzigartiger Mischung vorhanden. Wel- 
chen Einfluß der Krieg und was ihm folgen wird, auf die Art 
dieser Mischung ausüben wird, ruht im Schoße der Zukunft ver- 
borgen. 
Sicher aber ist schon heute festzustellen, daß die vertrags- 
mäßigen Bundeselemente sich als stark genug erwiesen haben, 
um neben den staatlichen Elementen auch über den Krieg hinaus 
sich zu erhalten. Das Reich hat seine rechtliche Natur während 
des Krieges nicht verändert. Seine unitarischen und förderativen 
Elemente sind noch heute in wesentlich derselben Mischung vor- 
handen, in der sie 1867 und 1870 bei den Gründungsakten zu- 
sammengefügt worden sind und in der sie sich seither in den 50 
Jahren norddeutschen Bundes- und deutschen Reichslebens erhalten 
haben. Die Zuständigkeitsgrenze ist trotz einzelner Verschiebun- 
gen in unitarischer Richtung doch im wesentlichen unverrückt 
geblieben, wie auch die Hauptorgane des Reichs Bundesrat, Kaiser 
und Reichstag sowohl in ihrer allgemeinen Bedeutung und Zu- 
sammensetzung, als auch in ihrem wechselseitigen Verhältnis und 
in ihren Zuständigkeiten im wesentlichen die gleichen geblieben 
sind. 
Die bedeutsamste Veränderung des Gesamtbildes, welche sich 
in diesen 50 Jahren zugetragen hat, ist keine rechtliche, sondern 
eine tatsächliche, nämlich die, daß das Reich den ihm von An- 
fang an zugewiesenen verfassungsmäßigen Entwicklungsraum
	        
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