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Das Streben, sich gegenseitig zu ergänzen, ist wenn auch nicht
immer ein bewußtes, so doch ein so notwendiges und allgegenwär-
tiges, daß die Doppelmandate das normale Verhältnis sind. Es
müßte normalerweise, wenn die Einheit des Geistes in der zwiespäl-
tigen Arbeit erhalten bleiben soll, jedes Landtagsmandat auch ein
Reichstagsmandat enthalten oder umgekehrt und es muß als ein
Konstruktionsfehler der Reichsorganisation empfunden werden, daß
dem nicht so ist und bei der Gleichzeitigkeit der Tagungen und
aus andren technischen Gründen auch nicht so sein kann. Die
Reichsverfassung verbietet Doppelmandate zwar nicht, trägt ihnen
sogar in gewissem Maße Rechnung, macht sie aber nicht not-
wendig, ja nicht einmal zur Regel, durch äußere Fornien des Ge-
schäftsgangs sogar zur selten erfüllbaren Ausnahme.
Den Vorzug vollen Rundblickes und Einblickes genießen also
nach dieser Konstruktion der Organe nur die Regierungen, nicht
aber die Parlamente. Das natürliche Ergänzungsbedürfnis des
Reichstags und der Landesparlamente bleibt unerfüllt und nach
der bestehenden Ordnung unerfüllbar und führt zu mannigfaltigen
Machtkreuzungen und Machtlücken. Es fehlt an der Homoge-
nität der Gesamtarbeit.
Dazu kommt aber noch ein zweiter und noch mehr auffal-
lender Mangel. Die Landtage aller größeren Einzelstaaten sind
nach dem Zweikammersystem gebildet, der Reichstag ist eine ein-
heitliche, nur durch Wahl gebildete Versammlung. Es felılt also
auch an der Konformität in der Beschaffenheit zwischen
Reichstag und Landtagen. Und dieser Mangel wird auch nicht
völlig geheilt durch die dem preußischen Landtag bevorstehende
Wahlretorm.
Es wird sich im folgenden zeigen, daß die vermißte Homo-
genität zum Teil eine Folge des Mangels der Konformität ist und daß
die Herstellung einer größeren Uebereinstimmung in der Haus-
bildung zwischen Reich und Staaten auch beitragen muß zu einer
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXVIIL 1. 85