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Die Gegenwart ist eine wenig günstige Zeit, um Erfolge und
Versäumnisse, Vorzüge und Nachteile der politischen Arbeitskräfte
und Arbeitsmethoden unserer jüngsten Vergangenheit abwägend
und abschließend zu beurteilen.
Wir sind wirtschaftlich so sehr gediehen, daß es den Nach-
barn nicht gefiel und daß sie sich zusammentaten, um den gefähr-
lichen Rivalen im Weltleben zu zerschlagen. Soll diese unbe-
streitbare Tatsache ein Beweis für die Entbehrlichkeit eines Ober-
hauses sein, so kann dem nicht zugestimmt werden.
Unsere wirtschaftlichen Erfolge ım Verein mit unserem aus-
gleichenden sozialpolitischen System haben dazu geführt, daß jene
oben gerügten Mängel der Homogenität und Konformität nicht
zur offenen Krise führten, sie haben uns über diese und andere
innere Mißstände hinweggetragen und hinweggetäuscht, aber sie
sind doch nur eine Seite unsres Entwicklungsprozesses.
Gewiß wir sind in der Reichsform äußerlich gewachsen, ha-
ben so manche Kümmerlichkeit früherer Entwicklungsperioden
abgestreift, haben nicht nur an wirtschaftlichen Ausmaßen, Wohl-
stand, Rechtsleben, äußerer Macht und innerer Bequemlichkeit
gewonnen, sondern wir haben uns auch alle technischen Hilfen,
welche der Geist der Erfindung den dafür empfänglichen Völkern
der Erde darbot, in reichem Maße zu eigen gemacht. Unser po-
litischer Blick ist weiter, „planetarisch* geworden, wir sind, wie
Fürst BÜLOW es zusammenfaßt, von einem europäischen zu einem
Weltvolk geworden.
Es gibt aber besonnene Stimmen, die die Frage aufwerfen,
ob wir nicht zu rasch gewachsen sind, ob nicht dadurch manche
gute Seite unsres politischen und nichtpolitischen Wesens notge-
litten hat und ob uns nicht gewisse Hemmungen zu unserem in-
neren Schaden gefehlt haben. Ohne diese Fragen hier ausführ-
lich behandeln und die Antwort begründen zu wollen, kann ich es
mir als einer der Aelteren unter den Beobachtern der Entwick-
lung unserer letzten 30 Jahre nicht versagen, festzustellen, daß