Aufsätze.
Völkerrecht und Völkermoral.
Von
OTTO MAYER.
„Zum juristischen Schriftsteller, hat LABAND einmal geäußert,
gehört zweierlei: gutes Gedächtnis und strenge Logik.“ Er selbst
sah sich ja nach beiden Richtungen hin trefflich ausgestattet,
und vielleicht ist er gerade deshalb nie in Versuchung geraten,
ein „Völkerrecht“ zu schreiben. Bei dieser Wissenschaft handelt
es sich wohl eher darum, zunächst einmal gar mancherlei Unnützes
zu vergessen, und mit einfachem folgerichtigem Denken allein scheint
man hier nicht auszukommen.
Eine rechtliche Ordnung soll es sein für die Beziehungen
selbständiger Staaten unter einander, ein jus inter gentes, als
ein ihnen gemeinsames, eigentümliches Recht, jus gentium!.
Vorausgesetzt ist also, daß die gentes die Form von Staaten
angenommen haben und auf dem Boden rechtlicher Gleichwertig-
keit — andernfalls diktiert der Höherstehende das Gesetz — in zu
i Man hat es gern als eine Art Fortschritt ansehen wollen, daß Zov-
cHAHuS 1651 sein Buch jus feciale sive inter gentes nennt. Aber auch
Hueo Grorivs bezeichnet das jus gentium, das er meint, zugleich als jura
inter eivitates und jus inter populos (J. B. P. Proleg. c. 17).
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXVIII 1. 1