Theorie herrschenden Meinung wie auch der positiven Gesetzge-
bung der meisten Staaten widerspricht. Die Meinung OPPEN-
HEIMs, man müsse die Besatzung der Handelsschiffe als „poten-
tielle Kombattanten“ auffassen, ist von TRIEPEL wie sogar von
WEHBERG überzeugend widerlegt worden; insbesondere haben
beide den Hinweis OPPENHEIMs auf Art. 6 des 11. Haager Ab-
kommens durch den Nachweis entkräftet, daß dıe Tatsache der
drohenden Gefangennahme allein kein Recht auf Verteidigung gibt;
denn wenn z. B. bei Kriegsausbruch feindliche aber noch nicht in
die feindliche Streitmacht eingereihte Privatpersonen gefangen ge-
nommen werden sollen, so kommt ihnen unzweifelhaft nach Völker-
recht kein Recht zum Widerstande zu“. Damit ist das ganze
zweite Hauptargument OPPENHEIMs erledigt.
Wichtiger erscheint das erste, wonach die Ausübung des Visi-
tationsrechts gegenüber feindlichen Handelsschiffen nur eine Pflicht-
erfüllung darstelle und bloß gegenüber neutralen auch die Ausübung
eines wirklichen „Rechtes“ bedeute, sowie daß die Ausübung des See-
beuterechts gegen feindliche Handelsschiffe nur ein (allerdings völ-
kerrechtlich erlaubter) Akt der Feindseligkeit sei. Es kann hier zuge-
geben werden, daß die Ausübung des Anhalte- und Durchsuchungs-
rechts gegenüber feindliehen und gegenüber neutralen Handels-
schiffen juristisch nicht in jeder Hinsicht gleich zu beurteilen ist ®.
Aber darauf kommt es nicht an. Denn das gesamte Verfahren
bei der Aufbringung und Einziehung des feindlichen Handels-
schiffes ist, von der ersten Aufforderung zum Anhalten an bis zum
Spruch des Prisengerichts, ein vom Völkerrecht genau geregeltes
Verfahren *, welches alle Merkmale eines rechtlichen Verfahrens
24 Vgl. TRIEPEL S. 402—404, WEHBERG S. 283 Anm. 1. — Der Ver-
gleich mit der „levee en masse“ könnte nur dann herangezogen werden,
wenn feststünde, daß die Besatzung der Handelsschiffe ein Recht zum
Widerstande hat; dieses Recht ist aber gerade erst zu beweisen.
:5 Vgl. TRIEPEL S. 399.
6 Die im folgenden erörterten Punkte haben m.E. bei TRIEPEL noch nicht
genügende Berücksichtigung gefunden; gut, aber nicht erschöpfend ist
die bereits früher zitierte Untersuchung von O. v. ALVENSLEBEN S. 52.