Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

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Stimmzettel sich aus den Kandidaten verschiedener Listen zu- 
sammenzustellen, ihn zu „sprenkeln“ („panacher“). Na- 
türlich griff auch in diesem Falle die Bezeichnung „freie Liste*® 
Platz; aber es war hier eine freie Liste, zu der die Panachier- 
befugnis noch hinzutrat, eine „freie Liste mit Panachierbefugnis.“ 
Damit schuf man durchaus nichts Neues, sondern knüpfte 
nur an Vorhandenes an. Sehon bei der gleichzeitigen Wahl 
mehrerer in demselben Wahlkreis nach Majorität hatte man es 
als etwas Besonderes empfunden, wenn ein Wähler bei Abgabe 
seiner Stimme von der Liste der Kandidaten, welche die Partei 
empfohlen hatte, abwich und nicht seine sämtlichen Stimmen 
ein und derselben Partei gab. So hatte man bereits für diese 
Besonderheit einen Namen erfunden: „le panachage‘, „die 
Sprenkelung“ des Stimmzettels durch den Wähler. Bei der Ver- 
hältniswahl blieb der Vorgang des Panachierens ganz derselbe. 
In Deutschland dagegen war die Sache anders. Als man hier 
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts infolge des schweizerischen 
Einflusses der Verhältniswahl allmählich ausgiebigere Beachtung 
zu schenken begann, mußte gerade das Panachieren als etwas 
ganz Besonderes erscheinen. Denn hier war es gänzlich neu. Waren 
ja doch im Gegensatz zur Schweiz, wo auch bei Mehrheitswahl 
in einem Wahlkreis nicht bloß einer, sondern gleichzeitig mehrere 
Abgeordnete gewählt zu werden pflegten, im Reich wie in den 
Einzelstaaten Einerwahlkreise vorherrschend. So kam es offen- 
sichtlich, daß ROSIN in seiner Darstellung der „Minoritäten- 
vertretung und Proportionalwahl“ von 1892 die neue Bezeichnung 
„gebundene Liste“ erfand; das war nach schweizerischer Terminologie 
die „freie Liste ohne Panaschierbefugnis“. Für die „freie Liste 
mit Panaschierbefugnis“ allein ließ RosIn die Bezeichnung „freie 
Liste* bestehen. Bedauerlicherweise fand der Mißgriff Rosıns in 
Deutschland Anklang und hatte zur Folge, daß der „gebundenen 
Liste“ dank ihres Namens der Makel der Beschränkung der Stimm- 
freiheit anzuhaften schien und sie darum ungebührlich gegenüber
	        
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