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Stimmzettel sich aus den Kandidaten verschiedener Listen zu-
sammenzustellen, ihn zu „sprenkeln“ („panacher“). Na-
türlich griff auch in diesem Falle die Bezeichnung „freie Liste*®
Platz; aber es war hier eine freie Liste, zu der die Panachier-
befugnis noch hinzutrat, eine „freie Liste mit Panachierbefugnis.“
Damit schuf man durchaus nichts Neues, sondern knüpfte
nur an Vorhandenes an. Sehon bei der gleichzeitigen Wahl
mehrerer in demselben Wahlkreis nach Majorität hatte man es
als etwas Besonderes empfunden, wenn ein Wähler bei Abgabe
seiner Stimme von der Liste der Kandidaten, welche die Partei
empfohlen hatte, abwich und nicht seine sämtlichen Stimmen
ein und derselben Partei gab. So hatte man bereits für diese
Besonderheit einen Namen erfunden: „le panachage‘, „die
Sprenkelung“ des Stimmzettels durch den Wähler. Bei der Ver-
hältniswahl blieb der Vorgang des Panachierens ganz derselbe.
In Deutschland dagegen war die Sache anders. Als man hier
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts infolge des schweizerischen
Einflusses der Verhältniswahl allmählich ausgiebigere Beachtung
zu schenken begann, mußte gerade das Panachieren als etwas
ganz Besonderes erscheinen. Denn hier war es gänzlich neu. Waren
ja doch im Gegensatz zur Schweiz, wo auch bei Mehrheitswahl
in einem Wahlkreis nicht bloß einer, sondern gleichzeitig mehrere
Abgeordnete gewählt zu werden pflegten, im Reich wie in den
Einzelstaaten Einerwahlkreise vorherrschend. So kam es offen-
sichtlich, daß ROSIN in seiner Darstellung der „Minoritäten-
vertretung und Proportionalwahl“ von 1892 die neue Bezeichnung
„gebundene Liste“ erfand; das war nach schweizerischer Terminologie
die „freie Liste ohne Panaschierbefugnis“. Für die „freie Liste
mit Panaschierbefugnis“ allein ließ RosIn die Bezeichnung „freie
Liste* bestehen. Bedauerlicherweise fand der Mißgriff Rosıns in
Deutschland Anklang und hatte zur Folge, daß der „gebundenen
Liste“ dank ihres Namens der Makel der Beschränkung der Stimm-
freiheit anzuhaften schien und sie darum ungebührlich gegenüber