Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

_- 1 — 
Weise, daß ein Staat dem anderen gegenüber (es können deren 
auch mehrere sein; wir nehmen den einfachsten Fall) eine Regel 
einhält mit opinio necessitatis für beide Teile, als bindend 
für sein Verhalten, wie für das des anderen; dann muß der andere 
kommen und muß es geradeso machen. Das tut er, nachdem 
ihm die freundliche Herausforderung des ersten kundgeworden ist, 
und er läßt das gern diesen wieder merken, damit er dabei bleibe. 
Wenn sie in solcher Weise längere Jahre miteinander verfahren 
haben, ist beiderseits der Wille, daß das zwischen ihnen als 
staatlich wahrzunehmende Regel gelten solle, genügend dargetan ; 
der Völkerrechtssatz ist da. Und in solchem Tatbestand soll 
nicht zugleich eine gegenseitige Zusage der Einhaltung der Regel 
zu finden sein? 
Einen besonderen Fall bildet noch der Eintritteines 
neuen Staates in die Kultur- und Völkerrechtsgemeinschaft. 
Durch die Aufnahme (die Anerkennung dieses Staates als Mitglied) 
dehnen die alten Mitglieder ihr allgemeines Völkerrecht auf den 
  
  
„Wie es neben dem geschriebenen Recht ein Gewohnheitsrecht gibt, so gibt 
es neben den ausdrücklich anerkannten Regeln des Völkerrechts auch solche, 
die nach stillschweigender Uebereinkunft gewohnheitsmäßig inne- 
gehalten werden.“ Wenn Lasson hinzufügt: „Doch allerdings nur so lange 
man es für passend und nützlich hält“, so hat er Aehnliches S. 48 auch von 
der vertragsmäßig aufgestellten Regeln gesagt („so lange als der Staat nicht 
seine Selbsterhaltung dadurch bedroht glaubt“). Tatsächlich gilt ja auch 
ein derartiger Grundsatz für beide Fälle. Vgl. unten Note 35. Der Unter- 
schied in der Leichtigkeit der Kündigung, den Lasson hier machen will, 
bezieht sich wohl eher auf das Einhaltungsversprechen als auf den Be- 
stand des Rechtssatzes selbst. Vgl. unten Note 36. — Mehr oder weniger 
deutlich kommt auch sonst die Auffassung des „Völkergewohnheitsrechtes“ 
als eines Willenserzeugnisses der beteiligten Staaten zum Ausdruck. 
So bei v. MARTENS, V. R. IS. 189: „Zum Unterschied von jenem Her- 
kommen, das im privaten Leben eines Volkes so gilt, wie es durch den 
dunklen Instinkt der Massen erzeugt wird, werden die internationalen 
Observanzen mehr mit Berechnung, mit überlegender Absicht, also bewußt 
geschaffen.“ Wem freilich auch das zivilrechtliche Gewohnheitsrecht ein 
Erzeugnis des selbstherrlichen („rechtlich maßgebenden*®) Willens der Unter- 
tanen ist, wie ULLMANN, V. R. S. 42, der merkt keinen Unterschied.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.