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von der allgemeinen clausula rebus sic stantibus findet an ihm einen über-
zeugten Gegner. Desto mehr tritt der einzige Fall hervor, für welchen er
die Entstehung einer Vertragspflicht leugnet.e. Das ist das Kriegs-
bündnis mit seiner eventuellen Verbindlichkeit zur Teilnahme an einem
künftigen Kriege (S. 159 ff.: „Die Sonderstellung der Bündnisse‘). Die
Regierung „verfügt hier über Leben und Gut ihrer Bürger“ (S. 164). Der
Staat, der mit einem andern ein, wenn auch nur defensives Bündnis schließt,
macht dadurch sein Schicksal von allen Sprüngen abhängig, die dessen
Politik machen wird (S. 165). Es kommt aber alles darauf an, ob, nach
der Konstellation der Zeit, in welcher die Frage akut wird, die Interessen
des andern Staates auch „wirklich unsere eignen sind* (S. 166). Denn „die
Pflicht eines Staates gegen sich selbst geht vor der Pflicht gegen andere“
(S. 168).
Man möchte erst an eine beabsichtigte Reinwaschung des italieni-
schen Mohren denken und seines sacro egoismo. Aber die Spitze wendet
sich alsbald von diesem Falle ab: die behauptete Unverbindlichkeit gilt
„auch hinsichtlich der Fortdauer der Bündnispflicht wäkrend des Krieges
hinsichtlich der Berechtigung zum Abschluß eines Sonderfriedens*“
(S. 167). Was mag der Verfasser wohl im Auge haben ?
Wahr ist natürlich, daß Kriegsbündnisse ganz besonders ernst und be-
deutungsvoll sind für beide Teile. Daraus ist aber doch gewiß nicht der
Schluß zu ziehen, daß man hier den Vertragsgenossen mit besonderer Leich-
tigkeit im Stiche lassen dürfe? Bisher hat ınan auch zwischen Staaten und
Völkern der sogenannten Treue noch einen gewissen Wert beigelegt.
Der Verfasser freilich meint: „Je weniger man auf Bündnisse für den
Kriegsfall zäblen kann, desto besser ist der Friede gesichert.“ Wer sich
zu „dieser Erkenntnis“ durchgerungen hat, mag es um des guten Zweckes
willen ruhig mit seiner Bündnispflicht so halten, wie es ihm jeweils am
vorteilhaftesten ist; das „entspricht der politischen Ethik“. — Die
Fortschritte des Völkerrechts sind wirklich ganz unberechenbar!
Das letzte Hauptstück der Schrift ist der „Friedensbewahrung“ ge-
widmet. Hier werden Pläne ausgesponnen zu künftiger Erschwerung eines
Kriegsausbruchs. Vor allem soll nach einer von Amerika aus vertretenen
Idee eine VUeberlegungsfrist eingehalten werden, während welcher
man sich aussprechen und guten Rat anhören muß. Man will, wie der
Verfasser sagt, „die pazifikatorische Macht der Zeit“ zur Geltung kommen
lassen (S. 190).
Freilich ist es doch wohl eine recht unzulängliche Vorstellung, daß
die europäischen Völker und Regierungen so einfach aus mangelnder Ueber-
legung sich in einen Krieg stürzen. Die Verschwörung, die 1914 losbrach,
war schon lange vorbereitet; eine eingeschobene Pause hätte nichts mehr
verhütet. Sie hätte nur dem mächtigeren Teil den nötigen Zeitgewinn
verschafft, um die Riesendampfwalze flott zu machen; dem Kulturstaate
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