Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

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von der allgemeinen clausula rebus sic stantibus findet an ihm einen über- 
zeugten Gegner. Desto mehr tritt der einzige Fall hervor, für welchen er 
die Entstehung einer Vertragspflicht leugnet.e. Das ist das Kriegs- 
bündnis mit seiner eventuellen Verbindlichkeit zur Teilnahme an einem 
künftigen Kriege (S. 159 ff.: „Die Sonderstellung der Bündnisse‘). Die 
Regierung „verfügt hier über Leben und Gut ihrer Bürger“ (S. 164). Der 
Staat, der mit einem andern ein, wenn auch nur defensives Bündnis schließt, 
macht dadurch sein Schicksal von allen Sprüngen abhängig, die dessen 
Politik machen wird (S. 165). Es kommt aber alles darauf an, ob, nach 
der Konstellation der Zeit, in welcher die Frage akut wird, die Interessen 
des andern Staates auch „wirklich unsere eignen sind* (S. 166). Denn „die 
Pflicht eines Staates gegen sich selbst geht vor der Pflicht gegen andere“ 
(S. 168). 
Man möchte erst an eine beabsichtigte Reinwaschung des italieni- 
schen Mohren denken und seines sacro egoismo. Aber die Spitze wendet 
sich alsbald von diesem Falle ab: die behauptete Unverbindlichkeit gilt 
„auch hinsichtlich der Fortdauer der Bündnispflicht wäkrend des Krieges 
hinsichtlich der Berechtigung zum Abschluß eines Sonderfriedens*“ 
(S. 167). Was mag der Verfasser wohl im Auge haben ? 
Wahr ist natürlich, daß Kriegsbündnisse ganz besonders ernst und be- 
deutungsvoll sind für beide Teile. Daraus ist aber doch gewiß nicht der 
Schluß zu ziehen, daß man hier den Vertragsgenossen mit besonderer Leich- 
tigkeit im Stiche lassen dürfe? Bisher hat ınan auch zwischen Staaten und 
Völkern der sogenannten Treue noch einen gewissen Wert beigelegt. 
Der Verfasser freilich meint: „Je weniger man auf Bündnisse für den 
Kriegsfall zäblen kann, desto besser ist der Friede gesichert.“ Wer sich 
zu „dieser Erkenntnis“ durchgerungen hat, mag es um des guten Zweckes 
willen ruhig mit seiner Bündnispflicht so halten, wie es ihm jeweils am 
vorteilhaftesten ist; das „entspricht der politischen Ethik“. — Die 
Fortschritte des Völkerrechts sind wirklich ganz unberechenbar! 
Das letzte Hauptstück der Schrift ist der „Friedensbewahrung“ ge- 
widmet. Hier werden Pläne ausgesponnen zu künftiger Erschwerung eines 
Kriegsausbruchs. Vor allem soll nach einer von Amerika aus vertretenen 
Idee eine VUeberlegungsfrist eingehalten werden, während welcher 
man sich aussprechen und guten Rat anhören muß. Man will, wie der 
Verfasser sagt, „die pazifikatorische Macht der Zeit“ zur Geltung kommen 
lassen (S. 190). 
Freilich ist es doch wohl eine recht unzulängliche Vorstellung, daß 
die europäischen Völker und Regierungen so einfach aus mangelnder Ueber- 
legung sich in einen Krieg stürzen. Die Verschwörung, die 1914 losbrach, 
war schon lange vorbereitet; eine eingeschobene Pause hätte nichts mehr 
verhütet. Sie hätte nur dem mächtigeren Teil den nötigen Zeitgewinn 
verschafft, um die Riesendampfwalze flott zu machen; dem Kulturstaate 
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