Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

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Zwar darf man, wie WAcH betont, von individuellen Faktoren nicht ab- 
sehen. Eines schickt sich nicht für alle und was z. B. in Oesterreich gut 
läuft, ist vielleicht für Deutschland unbrauchbar. Volkscharakter und Volks- 
erziehung, Standesverhältnisse von Richtern und Anwälten, wirtschaftliche 
Entwicklung und manches andere spielen da eine wesentliche Rolle. 
Allein es gibt Prinzipien, deren Wert allgemein nicht nur für das Rechts- 
leben einer bestimmten Landschaft diskutiert werden kann. 
WachH spricht sich gegen die Einführung eines höchsten Auslegungs»- 
gerichtes aus. Er lehnt die gesetzliche Fixierung einer Wahrheitspflicht 
der Partei ab als eine mit sonstigen Rechtsgrundsätzen schlechterdings 
nicht vereinbare zwecklose Härte. Aber auch der Anwalt könne als sol- 
cher zur Wahrheit nicht verpflichtet sein, wo es der Vertretene nicht ist. 
Erst wenn der Zivilprozeß zu einem ÖOffizialverfahren umgebildet würde, 
in dem der Rechtsanwalt pflichtgemäß der Feststellung des Tatsächlichen 
dient, könnte man ihm die absolute Wahrheitspflicht zur obersten Berufs- 
pflicht machen. Solange man aber in ihm den Parteibeistand sieht, wird 
er nicht wider seine Partei arbeiten dürfen. Immerhin kann man die 
Grenze einer durch die Ehre und Würde des Anwaltsstandes gebotenen 
Wahrheitspflicht ziehen. WAcH weist die Anregung, den Anwalt bei der 
Befragung der Partei ferne zu halten, ab. Er unterstützt den Ausspruch 
des Breslauer Anwaltstages: die Mitwirkung der Anwälte ist eine erheb- 
liche Erleichterung der Wahrheitsermittlung. 
Wach steht der Hoffnung WILDHAGENs, daß bei unmittelbarer Beweis- 
aufnahme vor dem erkennenden Richter Parteien- und Zeugeneid ver- 
schwinden werden, skeptisch gegenüber und hält an der Notwendigkeit 
des Eides fest, wenn er auch einige Reformen für notwendig hält. Es ist 
auffallend, daß in Deutschland sich sozusagen keine Bewegung für Ab- 
schaffung des Eides bemerkbar macht, während in der Schweiz ein Kanton 
nach dem andern dieses Beweismittel aus seiner Zivilprozeßordnung aus- 
merzt und nach dem übereinstimmenden Urteile von Richtern und An- 
wälten damit gute Erfahrungen macht. Der Eid ist das letzte aber mäch- 
tige Bollwerk des Formalismus im Prozesse. Trotz des Grundsatzes der 
freien Beweiswürdigung steht der Richter doch stets mit einem Fuße 
in den Banden einer starren Fesselung durch die Notwendigkeit, auf 
entscheidenden Gebieten Halt machen zu müssen. Der Zwang, hier nach 
bestimmten Formeln zu denken, übt einen ungünstigen Einfluß auf die 
ganze Geistesrichtung des Richters aus: der Sinn für freie ungehinderte 
Betätigung der eigenen Urteilskraft wird notwendigerweise geschwächt. 
Unmerklich übt der Zwang, nach gewissen Richtungen hin sich zu beugen, 
auch einen Druck auf Gebiete aus, wo dem Richter freie Bewegung zuge- 
sichert ist. Durch das Institut des Parteieides erhält sodann die Beweis- 
lastfrage eine erhöhte Bedeutung; der Richter wird gewöhnt, ein großes 
Gewicht auf die Verteilung der Beweislast zu legen, statt sich unbefangen
	        
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