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eben — nicht immer zum Vorteile der politischen Dynamik einzelner Rechtsein-
riohtungen — die Formenlehre eines scharf umrissenen Lehrbuches bedingt, ist
auch das obige „staatsgefährliche‘‘ Ergebnis zurückzuführen. Auch wenn man wie
ANnscHÜTz die vertragsmäßigen Grundlagen des deutschen Staatsrechtes in
Abrede stellt und konstruktiv beseitigt, kann Artikel 78 nach der noch heute
vorherrschenden Rechtsüberzeugung nicht in diesem Sinne verstanden und
ausgelegt werden, und so war er auch am allerwenigsten von den Vätern der
Verfassung gemeint, die doch alle erdenkliche Mühe hatten, Empfindlichkeiten
zu schonen und über politische Widerstände hinwegzukommen. Eine solche
Auslegung, welche die vertragsmäßige Grundlage selbst als ‚„‚Auslegungsmittel‘“
vernachlässigt, ist daher im Grunde nicht mehr Rechtslehre, sondern wohl schon
Politik, wenn auch unbewußte! Im übrigen gibt aber alles, was die Organi-
sation des deutschen Reiches Subjekt und Träger der Reichsgewalt, Organe
des Reiches, Bundesrat, Kaisertum (‚als äußeres Zeichen für die VUeberwindung
des Gedankens der preußischen Hegemonie‘ zur „Organschaft im Bunde“,
S. 191 ff. und 494 ff.),.Reichsland, Schutzgebiete usw. anlangt (S. 472—563)
einen dankbaren Kristallisationspunkt für einschneidende Zutat. Daß die
Bearbeitung auch sonst und überall, wo der Bearbeiter sich den zahlreichen
Provinzen des eigenen ungewöhnlich ausgedehnten Arbeitsfeldes oder den
Neuerscheinungen zuwendet, tiefer reicht, erweist nun der Abschnitt übeı
Gesetzgebung (Begriff und Wesen usw. 8. 637 ff.), oder was der jetzige Heraus-
geber über Gebietsänderungen $. 239 ff., über die Angehörigkeit, Reichs- und
Staatsangehörigkeitsgesetz S. 242 ff. neu zu sagen hat. Stark bereichert ist
u. a. noch insbes. der monarchenrechtliche Unterabschnitt durch Einbeziehung
vieler fürstenrechtlichen Fragen (S. 270—328). Im einzelnen hat der unermüd-
liche Herausgeber so gut wie überall— zumeist treffsicher und überzeugend
— eingegriffen und die neue Auflage (von der nur noch der Rest der Funktio-
nenlehre: Justiz und Verwaltung, dann die Behandlung der Rechtsverhältnisse
der Untertanen aussteht, $$ 170—241) zu einem Quellenwerke ersten Ranges
erhoben. Mehr zu sagen, verbietet die aller Berichterstattung gegenwärtig
auferlegte Selbstbeschränkung. Auch hier gibt es jetzt eine Kriegstechnik.
Wittmayer (Wien).
Rudolf Kjellen, Der Staat als Lebensform. 1917. S. Hirzel Verlag,
in Leipzig.
Ein neues Buch des Verfassers der „Großmächte der Gegenwart“ ist
immer ein literarisches Ereignis. Wir „Mitteleuropäer‘ schätzen ihn nicht nur
als Meister der politischen Geographie und der vergleichenden Politik, sondern
auch als einen aus jener verschwindend geringen Zahl von Neutralen, deren
Neutralität eine für uns wohlwollende ist. Amica Germania, sed magis
amica veritas — sagt: er in einer seiner Schriften, im Gegensatz zu der unge-
heueren Mehrzahl der politischen Schriftsteller beider Hemisphären, deren
Wahrheitsverachtung ihrem Deutschenbaß gleichkommt. -sewi& 35: E} FR>$