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Das ist nicht etwa gelehrte Konstruktion, Spiel mit Wor-
ten, weltfremder Doktrinarismus, sondern entspricht allein der vor-
handenen Wirklichkeit, der ungekünstelten Volksvorstellung. Wenn
beispielsweise ein schlichter Mann aus dem Volke davon spricht,
dass der Staat für dieses oder jenes Kind sorge oder wenn ein
Bürger sich patriotisch an dem Anblicke der Staatsflagge er-
freut, dann denkt weder der eine noch der andere an den Für-
sten oder in der Demokratie an die drei Millionen Staatsange-
hörigen oder die 800000 Staatsbürger, sondern es schwebt ihm
eine Vorstellung vom Staate vor, in der sich die Vorstellun-
gen vom sichtbaren Land, seiner Bevölkerung und der in ihr
herrschenden Gewalthaber unmerklich zu einem Gesamtbegriff
verweben. Der Staat ist nicht die Gesamtheit seiner Angehöri-
gen oder Bürger, sondern steht über ihr!.
Auch aus anderen Gründen ist die herrschende Lehre staats-
rechtlich unhaltbar. Wohl unterscheiden die Verfassungen zwi-
schen Zustehen und Ausüben der Staatsgewal.e. Dem Fürsten
steht sie zu, der Landtag übt sie mit aus. Allein dem Unter-
schiede mangelt materieller Sinn. Zustehen und Ausüben sind
hier nichts als Wechselausdrücke. Im Verfassungsstaate ist auch
der Fürst Staatsorgan, somit dasselbe wie der Landtag. Also
bedeutet Zustehen nicht Recht an der Staatsgewalt, sondern nur
organisatorische Zuständigkeit, Ausübungszuständigkeit und da-
1 Ist der Staat rechtlich das herrschaftlich organisierte Volk, also iden-
tisch mit Volk, dann kann der Herrscher rechtlich nur Volksorgan oder
überhaupt kein Organ sein, denn Organ aus absolut ursprünglichem Recht
ist eine contradictio in adjecto. Erblickt man im deutschen Monarchen ein
Volksorgan, dann besteht zwischen ihm und dem König der Demokratie
(Belgien, Griechenland usw.) kein Unterschied. Also bleibt nur: König ohne
Organsnatur, also über dem Staate und damit Hausrecht unabhängig vom
Staatsrecht. In dem Momente, wo ich zu der Anschauung zurückkehrte,
dass das Volk nur ein Eleiment des Staatsbegriffes bildet, war ‘die Lehre
vom ausserstaatlichen Herrscher unhaltbar. Der moderne deutsche Fürst ist
Staatsorgan mit einem nur im Verhältnis zuallen anderen Staatsorganen (also
auch zum Volke) ursprünglichen Recht.