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soll. Und dem Rückblick folgt zum Schluß ein Ausblick über die Zukunfts
möglichkeiten des internationalen Zusammenlebens (das Wort im buchstäb-
lichen Sinne, also nicht —= zwischenstaatlich genommen), in dem der Verf. unge-
achtet des furchtbaren .Gegensatzes der Staaten eine Wiederherstellung der
inneren Beziehungen unter den Nationen als Kulturgemeinschaften erhofft.
(Trotz bitterster Erfahrungen, an denen z. B. der bisherige Optimismus KJer-
LENS neuestens zu kranken beginnt, vgl. Staat als Lebensform $S. 117 Note).
Das folgende würde ungeschrieben bleiben, wenn sich nicht ausdrücklich
im Vorwort ein Hinweis auf „Maß und Art‘ der Literaturbenützung als Kenn-
zeichen der Objektivität des Autors fände. Auf das ‚Maß‘ kann er sich mit
Genugtuung berufen, hat er doch ein erstaunliches (namentlich auch in Zeit-
sohriften zerstreutses) Material verarbeitet. Bei der Gelegenheit sei des vor-
züglichen Index gedacht. Aber auch auf die ‚‚Art‘“? Man sieht das lange
Titelverzeichnis durch und sucht vergebens nach Namen wie MEINECKE
oder JELLINEK (von anderen zu schweigen). Ist das bei einem Thema: Nation
und Staat wirklich ohne Schaden für den Leser zulässig? RUEDORFFERS
gedankenreiches Buch (KJELLEN nennt den Verfasser, RIEZLER, „genial‘)
wird gelegentlich einer Bagatelle und nur dieses eine Mal zitiert. Beim Thema,
Weltbürgertum und Nationalstaat wird der Leser auf das Werk von MASARYK,
Zur russischen Geschichts- und Religionsphilosophie verwiesen, der anscheinend
Universalbelegstelle, z. B. auch für den ‚Volksgeist‘‘ der Romantiker ist;
bei Erwähnung des Herrschafts- und Genossenschaftsgedankens im Staats-
leben — ein Zeitschriftaufsatz von H. NotHL als Unterlage herangezogen.
MEINECKE und GIERCKE können dieses Totschweigen verschmerzen, aber
auch der Leser ? TREITSCHKE erhält das Wort zur Sache mit einem Feldpost-
auszug seiner Politik. Bei der Analyse des ‚Imperialismus‘ fehlen die wich-
tigen Bemerkungen von HınrzE (das Sammelwerk: Deutschland und der
Weltkrieg, Teubner, scheint Verf. nicht zu kennen) und MArcKs, der Begriff
wird daher in einseitiger Beleuchtung vorgestellt. Der Staatsrat Maria There-
sias war keine Verwaltungsbehörde, wie man nach S. 103 annehmen müßte.
Summs Summarum: Eine mit Fleiß und quantitativer Literaturkenntnis
gearbeitete Darstellung des Problems vom Standpunkt des Oesterreichers
und Theologen, bei der aber die Sentenz des Titelblattes ‚clarae notiones,
boni amici“ z. T. eine unerfüllte Hoffnung geblieben ist.
Charlottenburg. Heinrich Otto Meisner.
Stier-Somlo, Grund- und Zukunftsfragen deutscher
Politik. Bonn 1917. A. Marcus & E. Webers Verlag.
In einer Zeit, in der die Frage „Neuorientierung‘‘ unseres gesamten, inner-
politischen Lebens, wie sie in der kaiserlichen Osterbotschaft angekündigt ist,
die gesamte deutsche Nation in ihren Bann gerissen hat, verdient das
Buch STIER-SoMmLos ,„Grund- und Zukunftsfragen deutscher Politik“ ganz