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maß und Politik kritisch beleuchtet und die politische Wirkung gewisser
Rechtsprechung dargestellt. Daran schließen sich Ausführungen über Ver-
fassungswandlung und Politik, Volksvertretung und Staatsoberhaupt, Gesetz-
und Verordnungsgewalt. Sind diese nur knapp, eben orientierend dargestellt,
so sind der Frage der Ministerverantwortlichkeit eine Reihe von Seiten gewid-
met: In dem Fehlen der Regelung dieser ‚einseitig demokratischen Ideen‘ im
Reiche und in Preußen, in deren Fehlen Sr.-S. ‚ein nicht geringes Maß poli-
tischer Besonnenheit‘‘ erblickt, liegt bekanntlich ein ungelöstes politi-
sches Problem höchsten Ranges, das mit der größeren Anteilnahme des
Parlamentes an den wichtigsten Staatsgeschäften und mit seiner Beeinflussung
der Regierungspolitik auf das engste zusammenhängt. Damit im Konnex
steht die Erörterung der Verantwortlichkeit des Kanzlers und der Chefs der
obersten Reichsämter. Die theatralische Einrichtung einer Ministeranklage
weist der Verfasser mit Recht zurück; ihm ist der praktisch erfolgreichste
Weg zur Beseitigung eines unbeliebt gewordenen Staatsmannes die Ablehnung
der Zusammenarbeit mit ihm durch die Volksvertretung — eine Maßnahme
freilich, die in der Konfliktszeit wie im Jahre vor Kriegsausbruch versagt hat
(daß beide Male das Verbleiben der betr. Staatsmänner — Bismarcks, Beth-
mann Hollwegs —, vom Standpunkte des Historikers aus betrachtet, zum Heile
des Staates ausgeschlagen hat, sei angemerkt). Besonders interessant sind
die Ausführungen S. 42 f. über den Bundesrat, den er als „Ballast des Staats-
schiffes‘“ gegenüber der immer stärkeren Demokratisierung des Reichstags
als zu einer Art von Herrenhaus umgestaltet sehen möchte — im Rahmen
einer Reichsverfassung mit dem Kaiser als Reichsmonarch und einem verant-
wortlichen Reichsministerium unter Vorsitz des Reichskanzlers. Besonders
aktuell sind die Ausführungen über das Wahlrecht im Reiche und in Preußen.
Erklärt er — mit Recht — die Abänderung des ersteren für ausgeschlossen,
so die — inzwischen durch die Osterproklamierung verheißene — des preußischen
im Sinne eines gleichen Wahlrechtes für zweifelhaft. Dabei erblickt er den
Hauptfehler des Dreiklassenwahlrechtes in seinem Aufbau auf der Steuer-
leistung, der ausschließt, „daß die für ein großes Staatswesen doch schließlich
entscheidenden Mächte der sittlichen Kraft, der geistigen und wirtschaftlichen
Leistung irgendwie im Parlament zu ausreichendem Ausdruck gelangen“.
Dabei bezeichnet er dieEinführung des allgemeinen, gleichen, geheimen, unmit-
telbaren Wahlrechtes in Preußen als ‚‚unmöglichen Gedanken“. Eine Formu-
lierung, die nach der Osterbotschaft heute in gewissem Sinne als anachronistisch
erscheint. Nicht weniger aktuell ist die — am besten und eingehendsten soeben
von WALDECKER erörterte — Frage der Verteilung der direkten und indirekten
Steuer zwischen Reich und Einzelstaaten. Das Dogma: indirekte Steuern dem
Reich, direkte den Einzelstaaten, bezeichnet St.-S. (8.51) zutreffend als „kaum
mehr aufrechtzuerhalten“. Im Zusammenhange mit der Erörterung dieser Frage
steht die über das Finanzwesen im Verhältnis von Staat und Gemeinde mit