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Rachtsbeziehungen nach nicht maßgeblichen, auf eigene Verantwortung
selbstgefällten Entscheidungen zu gestalten. Es kommt aber letzten Endes
nicht auf sein, sondern des Richters Werturteil an! Solche Werturteile, wie
z. B. über die Böswilligkeit einer Unterlassung, über die Erheblichkeit einer
Gebrauchsbeeinträchtigung, sind nun individuell außerordentlich schwankend.
Daher befindet sich die Partei in einer recht prekären Lage. Soll sie den unge-
wissen Prozeß riskieren oder nicht ? Wer will und kann ihr zu- oder abraten ?
Hier liegt in der Tat ein brennender Notstand der Rechtsausübung vor. Und
gerade da, wo das Wirtschaftsleben die größte Sicherheit verlangt, sind die
Fälle solcher „‚riskanten Rechtsausübung‘‘ am häufigsten. Hier setzt der Re-
formvorschlag HoENIGERs ein. Wo die Ausübung von Gestaltungsrechten
oder ein sonst rechtlich erhebliches, die künftige Rechtslage beeinflussendes
Verhalten von Werttatbeständen abhängt, soll für die Feststellung dieses
Werturteils innerhalb der rechtlichen Grenzen ein Organ unserer Rechtspflege
geschaffen werden, das durch autoritative Willensentscheidung innerhalb
der schwankenden Wertgrenze das Urteil unanfechtbar zu fällen hat. Der
Verfasser verbreitet sich im einzelnen über Tätigkeitsbereich, Einrichtung
und Verfahren des neuartigen Justizorgans. Sein Vorschlag verdient auf-
merksamste Beachtung und ernstliche Erwägung. Es unterliegt wohl keinem
Zweifel, daß durch eine solche Neuerung viele Unsicherheiten und manches
Risiko behoben werden, somit ein nioht unbeträchtlicher Teil unserer Klagen
über die Rechtspflege verstummen würde.
Im Felde. Friedrich Giese.
Abhandlungen des Hamburger Kolonialamts Band 5. Die Verfassungs-
entwieoklung von Algerien. Von Dr. Hans Gmelin. Mit
einem Anhang: Gesetzestexte und Entwürfe. Hamburg. L. Friederioh-
sen & Co. 1911. XL und 453 und 115 S. Lex. 8°.
Der Ausbruch des Weltkrieges und dann ganz besonders die Verkündung
des Heiligen Krieges durch den Sultan haben uns nach Algerien blicken lassen
mit der Frage, ob sioh dort wieder, wie es im Jahre 1871 der Fall war, die ein-
geborene Bevölkerung unter Ausnutzung der militäris.hen Inanspruchnahme
Frankreichs gegen den Druck der französischen Herrschaft erheben würde.
Wer Algerien und die Stimmung unter den Eingeborenen kennt, der wußte,
daß genug Keime zur Unzufriedenheit noch heute dort liegen, und daß die
Eingeborenen, die sich nach einer Vertreibung der Franzosen sehnen, seit
dem Besuch des deutschen Kaisers in Jerusalem sich gewöhnt hatten, von
uns Deutschen Unterstützung bei der Auflehnung zu erhoffen, von der sie
träumen. Allein nichts ist geschehen. Algeriens Eingeborene sterben willig
für Frankreich. Algeriens Pferde ersetzen die Verluste der französischen
Kavallerie und Artillerie. Algeriens Getreide und Wein versorgt die französische
Armee billig. Algerische Bauern wandern nach Frankreich, um dort an Stelle