Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

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friedenheiten und Reformwünsche einzelner Gegenden oder auch einzelner 
Einwohnerklassen im Lande. Eine reinliche Lösung der verfassungstechnischen 
Probleme, die sich daraus ergeben, ist nicht erreicht worden, ist auch kaum 
denkbar; denn die wirtschaftlichen und ethnographischen Verhältnisse im 
Lande selbst sind wenig glücklich: Frankreich hat in Algerien im Lauf der 
Jahre ungeheure Summen für öffentliche Anlagen investiert, hat aber keine 
großen privaten Reichtümer, noch Aussichten für stark wachsende französische 
Niederlassungen im Lande zu entwickeln vermocht. Das Land ist nicht reich 
genug, um die Aufwendungen Frankreichs auch nur zu verzinsen; es hat alle 
Mühe, seinen gegenwärtigen Staatshaushalt ohne Zuschuß im Gleichgewicht 
zu halten!. Die französischen Ansiedler gehören überwiegend mittleren und 
niederen Erwerbsständen an. Die spanischen Ansiedler im Westen und italie- 
nischen im Osten der Kolonie haben, an ihrer Vermehrung bemessen, mehr 
Vorteile aus den französischen Aufwendungen gezogen. Sie mußten zwangs- 
weise durch eine besondere Naturalisationsgesetzgebung zu Franzosen ge- 
stempelt werden, um der staatsrechtlich französischen Einwohnerschaft 
wenigstens unter den Europäern zahlenmäßig einiges Uebergewicht zu ver- 
schaffen. Die Juden im Lande, die größtenteils nur der Religion, nicht der 
Rasse und Bildung nach, von den mohammedanischen Einwohnern verschie- 
den sind, haben für staatliches und Gemeindewahlrecht völlige Gleichstellung 
erreicht, zum Mißvergnügen der Franzosen und zum Neid der Mohammedaner, 
zumal der gebildeten und franzosenfreundlichen. Die ärmsten der mohamme- 
danischen Einwohner, die namenlose Masse im Lande, hat absolut von der 
französischen Wohlfahrtspflege den größten Nutzen gezogen: von den verbesser- 
ten Verkehrsverhältnissen, Arbeits- und Absatzmöglichkeiten, den Schulen, 
Sparkassen, gesundheitlichen Verbesserungen usw. Diese Armen vermehren 
sich aber so stark, daß ihre materielle Lage sich im allgemeinen nicht beson- 
ders hebt; die natürlichen Hilfskräfte Algeriens, das zum großen Teil aus 
Steppen, wüstem Land und Buschwäldern besteht, sind beschränkt, und die 
Steigerung der Ernährungsmöglichkeit durch die höhere Kultur und bessere 
ı 8. 450 A. 1 gibt GMELIN einige Ziffern aus der Verkehrs- und Finanz- 
statistik. Er konstatiert erhebliche Fortschritte. Aber er hat ganz vergessen, 
die Zahlen auf das Anwachsen der Bevölkerung und auf die allgemeine Steige- 
rung der entsprechenden Ziffern in anderen Ländern zu reduzieren. Tatsäch- 
lich ergibt sich, wenn man Algerien mit Ländern in ähnlicher Lage vergleicht, 
eine förmliche Stagnation seit langen Jahren. Dies wird auch in Frankreich 
vollkommen anerkannt und bildet einen Gegenstand der Sorge für die fran- 
zösisohe Volkswirtschaft. Die wenigen Landeserzeugungen, die sich wirklich 
in Algerien glänzend entwickelt haben, machen zum Teil (Weinbau, Anbau 
von Frühgemüsen, Oelbau) Frankreich noch spezielle Sorgen, weil sie eine 
lästige Konkurrenz für das Mutterland darstellen.
	        
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