Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 38 (38)

— 44 — 
ung durch den Weltkrieg leiten konnte, liegt weniger an den Segnungen der 
geltenden Verfassung als an der unerbittlichen furchtgebietenden Strenge 
der französischen Beamten; außerdem an der Tatsache, daß die französischen 
Kolonisten, da sie gesetzlich und noch mehr faktisch vor dem Recht und der 
Verwaltung außerordentlich privilegiert sind, das ganze Land mit ihrem 
leitenden Einfluß durchdringen und überall für Aufrechterhaltung der ver- 
haßten französischen Autorität sorgen. Unter den Kolonisten besteht ein 
starkes Solidaritätsgefühl, gerade weil sie alle den latenten Widerstand der 
Mohammedaner empfinden, die selbst in zahlreiche Klassen, Stämme und 
Schichten geteilt sind und dem ihnen gegenüber einheitlichen Willen der 
französischen Minderheit keinen irgendwie organisierten Gesamtwillen ent- 
gegenstellen können !. Die Stempelung aller Franzosen in Algerien — auch 
der ärmsten — zu einer Herrenklasse selbst gegenüber reichen und gebildeten 
Eingeborenen, das ist der Kernpunkt der algerischen Verfassung. Wie dieser 
Grundsatz früher, wie er heute in Algerien durchgeführt worden ist, das müßte 
den Angelpunkt einer algerischen Verfassungsgeschichte bilden, die eine Ent- 
wickelung — d. h. doch etwas mehr als eine registrierende Chronik der Gesetz- 
gebung — darstellen wollte. 
KARL HADANK hat kürzlich (Histor. Vierteljahrsschrift XVII, 1914, 
S. 263) PAUL DARMSTÄDTERS Geschichte der Aufteilung und Kolonisation 
Afrikas ‚„‚ungebührliche Bevorzugung von Einzelheiten der Verfassungen“ 
vorgeworfen und meint, dies sei eine bloße Mode, die Hand in Hand gehe 
mit der breiten Erörterung von historisch bedeutungslosen Plänen und Träu- 
men. „Wenn die Geschichtschreiber sich weniger um papierne Bestimmungen 
und mehr um die realen Vorgänge kümmerten, die den Lauf der Geschichte 
bestimmen, so würden sie ihrer Aufgabe besser genügen.‘ Auch wer Rechts- 
geschichte treibt, muß als Historiker arbeiten und muß sich dem Erfordernis 
jeder Geschichtschreibung unterwerfen, Klarheit aus den realen Tatsachen 
zu schöpfen, anstatt sich allein auf die zeitgenössischen Spiegelbilder dieser 
Tatsachen zu stützen, wie sie der Jurist in der wechselnden Gesetzgebung 
findet. Wenn es heute kein ähnlich umfangreiches französisches Werk über 
Algerien gibt, so ist der Grund dafür, daß sich schwerlich ein französischer 
Gelehrter finden würde, der imstande wäre, so ‚wie es GMELIN tut, das Wichtige 
mit dem Gleichgültigen, das Bleibende mit dem Vorübergehenden, das Ge- 
lungene mit dem Verfehlten zu einer trockenen Chronik der Gesetzgebungs- 
arbeit zu verschmelzen. Man halte daneben das bekannte Werk COCHERIS 
! Aehnliches wäre von den zahlreichen Spaniern und Italienern im Lande 
zu sagen. Sie werden verachtet, aber nach Möglichkeit benutzt und gern 
zwangsweise assimiliert. Eine viel bessere Stellung haben die vermögenden 
deutschen und englischen Kaufleute und Villenbesitzer, wenngleich auch sie 
durchaus nicht beliebt sind.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.