über Aegypten — wenn ich nicht irre ursprünglich eine Dissertation. Wieviel
Leben, dramatische Bewegung, Mitgefühl für die unterworfene Bevölkerung,
Verständnis für die Bedürfnisse der beherrschenden europäischen Gewalt,
Empörung über das Hineingreifen persönlichen Intriguenspiels in die staats-
rechtlichen und völkerrechtlichen Abhängigkeitsverhältnisse! Das ist bei
allergründlichster Berücksichtigung der gesetzlichen Grundlage und des
technischen Apparates doch erst die Art Geschichte, die wir brauchen, wenn
wir uns für froemdartige Verhältnisse erwärmen lassen und wenn wir zum
Nachdenken über die beste Lösung für staatsmännische Probleme Anregung
bekommen sollen, wie ein Werk über verfassungsrechtliche Entwickelung
sie geben muß. Man fühlt bei GMELIN nicht, daß er ein Herz für das Land
hat; daß er es kennen gelernt und verstanden, daß er in seine Not, seine Sorgen,
seine Hoffnungen sich hineingelebt hat. Und ein wenig Liebe gehört nun ein-
mal zu einer Geschichte, selbst zu einer Verfassungsgeschichte.
Das Buch GMELINS gehört in die Kategorie der Werke, die den Autor
wegen der Gründlichkeit, mit der eine bestimmte Materie mehr oder weniger
methodisch bearbeitet worden ist, bei uns zum Professor qualifizieren. Wer
das Land kennt und sich für seine eigenartigen älteren und neueren und noch
lebendigen Verfassungsprobleme interessiert, der liest sich mühsam und unmutig
durch die 500 Seiten hindurch, und wer die wirklichen Triebfedern der Ver-
fassungsentwickelung in Algerien studieren will, der wird in mancher fran-
zösischen Broschüre mehr Aufklärung finden, als in dieser umfassenden Samm-
lung von gesetzlichem Material.
Deshalb erfährt der Leser nicht ohne Verwunderung, daß eine, auf prak-
tische Erkenntnis der Auslandverhältnisse hinzielende Institution, wie das
Hamburger Kolonialinstitut, die umständliche Arbeit GmMmeLıns fundiert
hat, offenbar ohne ihm zur Aufgabe zu machen, sich das Land, dessen Einrich-
tungen er beschreiben wollte, ein wenig anzusehen und, außer in den Pariser
Bibliotheken und Archiven, such in den reichen Archiven Algeriens und im
Verkehr mit den Praktikern und Theoretikern des Landes selbst sich Ein-
drücke zu holen. Mit Werken wie diesem ist der Erkenntnis ausländischer
Kolonialmethoden wenig gedient, geschweige denn fruchtbares Material zur
Orientierung für unsere eigenen gesetzlichen Maßnahmen in den deutschen
Kolonien geliefert.
In dem Literaturverzeichnis vermisse ich, außer dem nicht berücksichtig-
ten Material der Algerischen Archive, vor allem die Publications de l’Ecole
des Lettres d’Alger. Aber auch andere Werke über fundamentale Probleme
der Verfassungsentwickelung hätten wohl eher Berücksichtigung verdient
als manche einseitig-tendenziösen parlamentarischen Berichte, die GMELIN
herangezogen hat. So z. B. die Arbeiten AuGuUsTIn BERNARDS (La penetra-
tion saharienne 1830—1906; Algerie et Tundsie; — BERNARDS Arbeit: Les
confins algero — marocains ist neueren Datums, 1911. Die Frage der Grenzen