Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 41 (41)

nächsten Monaten die kanadische Empfindlichkeit besonders sorgfältig 
geschont; außer den früher an dieser Stelle erwähnten Höflichkeiten 
(vgl. Arch £. öff. R. 40, 93) schickte man den Sprecher Lowther mit 
einer Nachahmung des Präsidentenstuhls von Westminster nach Kanada, 
um ihn dem Haus der Gemeinen in'Ottawa als Geschenk und Symbol 
gleichen Parlamentsrechtes zu überreichen und ähnliches mehr. Die 
Stellung der kanadischen Führer wurde dadurch aber nicht beeinflußt. 
Der Premier Meighen wie der Führer der oppositionellen Farmerpartei, 
Crerar, betonten bei aller Reichstreue der Dominion, daß sie eine freie 
Nation sei und für jeden Kanadier „Canada first“, auch vor Groß- 
britannien, der Wahlspruch sein müsse; man sprach von einer Sucht 
der Zentralisierung in London® nicht viel anders, als man im deut- 
schen Süden von Berlin zu sprechen pflegt. Zu gleicher Zeit wurde 
in England selbst aus einem persönlichen Anlaß, wie er so häufig ge- 
rade in London entscheidend ist, die Reichsregierung kritisch behandelt: 
der bevorstehende Rücktritt Milners vom Kolonialamt führte zur Er- 
wägung der Frage, ob nicht aus dem Bereich dieses Amtes die Do- 
minionfragen nun ausgeschieden und, wie zum Beispiel der Abgeordnete 
Ormsby-Gore in einem Brief an die Times vom 8. Januar 1921 vor- 
schlägt, unmittelbar dem Premierminister oder dem Privy Couneil über- 
tragen werden sollten; dem Kolonialamt verblieben die Kolonien und 
Dependenzen, wozu jetzt auch noch die überaus wichtigen Angelegen- 
heiten der englischen Mandate vom Völkerbund (Palästina, Arabien» 
Mesopotamien, Ostafrika, Nauru) kommen’. In der Tat steht es mit 
dem Verfassungsrecht von heute nicht mehr in Einklang, daß der 
Staatssekretär des Kolonialamts als verantwortlicher Minister dem 
König die Ernennung der Generalgouverneure für die Dominions vor- 
zuschlagen hat, während die Premierminister dieser Dominions die Pairs 
des englischen Premiers sind. Die Ordnung schien zum Teil deshalb 
dringlich, weil als designierter Nachfolger Milners Winston Churchill 
galt, von dessen Ehrgeiz eher zu erwarten war, daß er den Kreis 
seines neuen Amts erweitern, als daß er sich eine Beschränkung ge- 
fallen lassen werde. Winston Churchill hat deshalb auch die erste 
Gelegenheit ergriffen — bei einem Festessen der English-speaking Union 
für den neuen Vizekönig von Indien, Lord Reading —, um sich zu 
einem sehr vorsichtigen Reichsverfassungsprogramm zu bekennen. 
6 Kanadische Adreßdebatte im Februar 1921. 
’ Vgl. M. ScHhoca, Völkerbundmandate und Kolonialpolitik im Hand- 
buch der Politik Band 5. 
 
	        
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