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IN.
Literatur.
Karl Binding. Zum Werden und Leben der Staaten, zehn staatsrechtliche
Abhandlungen, Duncker und Humblot, 1920, 409 S., geh. 20 M.
Durch diese Heinkich TRIEPEL gewidmete Sammlung von Abhand-
lungen möchte der verstorbene Verfasser, wie er im Vorwort ausführt, be-
weisen, daß er doch „kein einseitiger Kriminalist“ gewesen. Das ist ihm
voll gelungen. Denn alle Abhandlungen zeigen das feine Verständnis des
verstorbenen Altmeisters für die Probleme unserer Wissenschaft und sind
mit der dem Verfasser eigenen Lebendigkeit geschrieben.
FRITZ SANDER hat allerneuestens! BinDInGs Betrachtungsweise als das
Prototyp einer unwissenschaftlichen, rein politisch orientierten Staatslehre
gekennzeichnet. Auf SAnDeERs Stellungnahme, die für die neuösterreichi-
sche Schule bezeichnend ist, wird an anderer Stelle prinzipiell einzugehen
sein. Vor allem wird da nachzuweisen sein, daß auch die österreichische
Schule von politischer Orientierung nicht frei ist, wie übrigens jede Wissen-
schaft, die sich mit dem Staate beschäftigt, mehr oder weniger stark ein
politisches Element enthalten wird. So hat sich auch das Haupt der öster-
reichischen Schule, KELSEN in der Vorrede seiner „Hauptprobleme der
Staatsrechtslehre“ durchaus nicht dagegen verwahrt, daß seine Ansichten
„als Symptom eines Neoliberalismus“ angesehen würden. So läuft denn
auch der ganze Angriff SAnDERs letzten Eindes wieder auf einen Methoden-
streit heraus. Und da soll zugegeben werden, daß man sich gerade im
öffentlichen Recht der verschiedenen Methoden oft nicht bewußt geworden
ist. Auch die Abhandlungen BINDINGs sprengen sehr oft den Rahmen der
rein formalen Rechtsbetrachtung und sind erfüllt von politischen Wert-
urteilen. Nicht zu ihrem Schaden, nur wäre es besser gewesen, das in der
Bezeichnung als „staatsrechtliche und politische“ Abhandlungen auch zum
Ausdruck zu bringen.
i FRITZ SANDER, Alte und neue Staatsrechtslehre. Kritische Bemer-
kungen zu KArı Bınpıinas „Zum Werden und Leben der Staaten“, Zeit-
schrift für Öff. Recht, II, Band, S. 176 ff.