Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 41 (41)

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Die Abhandlungen gruppieren in sich 4 Abschnitte: Zum Werden der 
Staaten, der Kaiser, Parlament und Volksversammlung, die staatsrechtliche 
Verantwortlichkeit. Die beiden ersten Gruppen der Abhandlungen behandeln 
Gewesenes und sind im Wesentlichen nur noch von historischem Interesse. 
Besonders schön gelungen ist unter ihnen meines Erachtens der erste Auf- 
satz über „den Versuch der Reichsgründung durch die Paulskirche®, in 
dessen feiner warmherziger Beurteilung der damaligen Vorgänge man das 
lebendige Interesse des Verfassers durchfühlt. 
Von großem theoretischen Interesse ist dann die 5. Abhandlung über 
die „Vereinbarung“, wichtig vor allem auch deshalb, weil die herrschende 
Lehre in diesem Begriffe den Rechtsgrund des Völkerrechts sieht. Dieser, 
meines Erachtens von BINDING stark überschätzte Rechtsbegriff ist eben 
doch nicht imstande, faktische Vorgänge rechtlich zu erklären. BINDING sagt 
S. 235/236: „Diese Vorstellung von der bindenden Kraft der Vereinbarung ist 
sehr eigenartig: sie scheint nicht ganz frei von einem mystischen Element. Sie 
geht dahin: durch die Verabredung eines gemeinsamen Wollens oder eines ge- 
meinsamen Handelns entsteht eine Willensmacht über den Verabredenden, 
der alle Teilnehmer an der Verabredung zu entsprechen haben. Die Verein- 
barung wirkt also nicht eine einfache Addition von zwei oder drei inhaltlich 
gleichen Willen, sondern sie schafft einen Willen über zweien oder dreien oder 
Tausenden, dem sie alle Nachachtung schulden.“ „Damit deckt aber BInDInu 
selbst mit aller Offenheit den „mystischen* Charakter und damit den 
schwachen Punkt des ganzen Begriffs auf. Und gerade dieser mystische 
Charakter der Vereinbarung hat auf die Erkenntnis des Wesens des Völker- 
rechts nicht günstig gewirkt. So einfach, wie sich Bınnına das denkt, 
(S. 242/243) läßt sich die Auffassung des Völkerrechts als „Aeußeres Staats- 
recht* nicht widerlegen. Zuzugeben ist, daß bei letzterer Annahme die 
Bindung der völkerrechtlichen Regeln dann nur solange besteht, als sich 
der betr. Staat daran gebunden fühlt. Aber solange keine überstaatliche 
Organisation vorhanden ist, läßt sieh diese Konsequenz nicht aus der Welt 
schaffen. Sie entspricht jedenfalls mehr dem tatsächlichen Zustande, als 
der Mystizismus der Vereinbarungslehre. 
Die Abhandlungen der beiden letzten Abschnitte behandeln Probleme, 
die noch jetzt im Vordergrunde des Interesses stehen. So schneidet Bın- 
DING in der 8. Abhandlung „Das Problem der Bildung der Parlamente und 
der Volksversammlung des Freistaats“ auch die Frage der berufständischen 
Vertretung an. Er geht dabei von der Tatsache aus, daß das Repräsen- 
tationsprinzip seine Quelle im Naturrecht habe und dadurch individualistisch 
orientiert sei, während in dem Zusammenschluß zu berufständischen Ver- 
bänden das kollektivistische Element vorherrsche. Und wenn BInDInG 
(8. 308) von der berufständischen Gliederung sagt: „wir stehen hier am 
Anfange einer großen Entwicklung, deren Ende sich noch nicht entfernt 
absehen läßt“, so berührt er hiermit ein Hauptproblem der jüngsten Gegen-
	        
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