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bereits gestreifte Kernfrage der ganzen Reform: Wir brauchen die Mög-
lichkeit einer Patententziehung auch unabhängig von dem Geschehnis
eines Seeunfalles. Bis auf weiteres kann ja nach deutschem Verwaltungs-
recht ein notorisch Geisteskranker, kann ein entmündigter Trunkenbold
unbeanstandet Schiffe und Schiffsmaschinen leiten. Und wer wegen noch
so schwerer Verbrechen im Zuchthaus gesessen, auch die bürgerlichen
Ehrenrechte verloren hat, behält demungeachtet das Recht, deutsche
Schiffe zu führen und deutsche Schiffsjungen auszubilden (L. PERELS, Zum
Vorentwurf eines Seeunfallgesetzes, 1909, S. 12). Eine Patententziehung
würde unzulässig sein, solange er keinen „Seeunfall verschuldet hat“. Bei
solchem Gesetzeszustand möchte man fragen: ist denn das noch Seerecht
oder ist es nicht vielmehr Seeunrecht? Gibt es denn ernstliche Gründe
für die Beibehaltung dieses Zustandes? Vor langen Jahrzehnten verschob
man seine Abänderung, deren Notwendigkeit nicht geleugnet wurde, bis
auf eine entsprechende Durchsicht der Gewerbeordnung. Die Gewerbe-
ordnung ist inzwischen, wer weiß wie oft, abgeändert worden, nur nicht
darin. In neuerer Zeit sind zugunsten des bestehenden Rechtes anstatt
gesetzgebungstechnischer Gründe schließlich gar sachliche angeführt worden !
Es heißt nämlich, durch die vorgeschlagene Aenderung würde ungezählten
Denunziationen Tür und Tor geöffnet werden. Diese abgebrauchte Rede-
wendung beweist indessen kaum etwas. Sie paßt überall dahin, wo ein
Straf- oder ähnliches Gesetz geplant wird, und ergibt doch nichts gegen
dessen Vernünftigkeit. Wie anderwärts gezeigt (a. a. O.), fehlt es weder
an gemeinrechtlichen noch an besonderen seerechtlichen Vorschriften, die
geeignet sind, unbegründeten Strafanzeigen vorzubeugen. Schon heutzu-
tage sind überdies ehrenkränkende Anzeigen der Schiffsmannschaft gegen
ihre Kapitäne und Schiffsoffiziere dermaßen häufig, daß eine Statistik
darüber wohl manchen überraschen würde, wenn es sich überhaupt lohnte,
eine aufzustellen. In der Praxis werden solche Beschuldigungen großen-
teils durch Nichtbeachtung erledigt, und das ist auch bisweilen die beste
Antwort. Es kommt wenig darauf an, ob demnächst infolge eines neuen
Gesetzes noch ein paar Dutzend oder ein paar Hundert ähnliche Eingänge
alljährlich von den Behörden zu den Akten geschrieben werden, nötigen-
falls nach Bescheidung oder Zurechtweisung oder Bestrafung des Anzeigen-
den. Wenn hingegen die Anzeige begründet ist und zur Patententziehung
führt, dann hat sich unter Umständen der Anzeigende, er sei gut oder
böse, um das Gemeinwohl durchaus verdient gemacht. Man wende ja nicht
ein: die Reeder werden schon selber und im eigenen Interesse dafür Sorge
tragen, daß sie ihr Schiff keiner ungeeigneten Persönlichkeit anvertrauen.
Wer so spricht, der denkt wohl an eine Anzahl vortrefflich geleiteter
Reedereibetriebe, kennt aber nicht die weniger vortrefflichen mit ihren
höchst eigenartigen Schattenseiten, würdigt insbesondere nicht hinreichend
die wirtschaftliche Stellung des Schiffer-Reeders und des Schiffer-Mitreeders,