Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 41 (41)

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Völkerrechtes für das Bereich des Staatsrechtes geführt, die nur 
gemäß der — das geschriebene Recht bevorzugenden — Tradition 
der deutschen Rechtsgeschichte in Form eines geschriebenen Ver- 
fassungsrechtssatzes auftritt. Artikel 4 der deutschen Reichsver- 
fassung hat bekanntlich „die allgemein anerkannten Regeln des 
Völkerrechts als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts“ 
erklärt, und nach diesem Vorbild hat auch Artikel 9 der Bundes- 
verfassung der deutschösterreichischen Republik „die allgemein 
anerkannten Regeln des Völkerrechtes zu Bestandteilen des Bundes- 
rechtes“ gemacht. All diese Bezugnahmen der Völkerrechts- 
auf die Staatsrechtsordnung, der Staatsrechts- auf die Völker- 
rechtsordnung sind Ausdruck einer Einbeziehung, einer 
Einordnung oder Unterordnung. Die delegierte Ordnung 
‘wird — materiell im wesentlichen unverändert — formell ein Teil 
der delegierenden Ordnung, assimiliert sich ihr, ja wird von ihr 
völlig absorbiert. Das völkerrechtlich rezipierte Staatsrecht geht 
im Völkerrechte völlig unter, das staatsrechtlich rezipierte Völker- 
recht geht im Staatsrecht völlig auf, die beiderseitige spezifische 
Rechtsqualität geht in diesem Delegationsprozesse restlos verloren. 
„Im Falle eine Unter- und Ueberordnung zwischen zwei Normen- 
systemen angenommen wird, — was nur die bildliche Darstellung 
des Verhältnisses der logischen Ableitung ist* (S. 113) — kann 
im Grunde gar nicht mehr von zwei verschiedenen Ordnungen ge- 
sprochen werden. Denn die niedere muß als in der höheren ent- 
halten, muß als deren Bestandteil gedacht werden. „Die Vor- 
stellung von zwei Ordnungen kann keine endgültige sein.* „Es 
ist nur ein einziges Normensystem gegeben“ (S. 112). Das hat 
bezüglich des Objektes der Rechtswissenschaft die radikale Kon- 
sequenz, daß sie es nur entweder mit einem Staatsrecht oder 
mit dem Völkerrecht, niemals mit beiden Systemen in — sei es 
nun beziehungsloser oder beziehungsvoller — Vereinzelung zu tun 
haben kann. Mit welchem — das ist ein metajuristisches Problem, 
dem im folgenden an der Hand von KELSENs Ausführungen nach-
	        
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